Der britische Premierminister Boris Johnson will trotz der wachsenden Kritik gegen sich nicht zurücktreten. Gerade in schwierigen Zeiten werde von der Regierung erwartet, dass sie ihre Arbeit fortsetze, sagte er am Mittwoch in der wöchentlichen Fragerunde des Unterhauses.
Ein Rücktritt komme nur infrage, wenn es der Regierung unmöglich sei, ihren Auftrag weiter zu erfüllen. Gerade in der aktuell herausfordernden Situation sei es aber nötig, weiterzumachen, “und das werde ich tun”, so Johnson. Die britische Regierung war am Dienstag von zwei Ministerrücktritten erschüttert worden. Finanzminister Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid, beide Angehörige der Konservativen, hatten am Abend überraschend ihren Rückzug erklärt. Zahlreiche Staatssekretäre sowie weitere wichtige Regierungsmitarbeiter folgten diesem Beispiel. Die Gesamtzahl der Rücktritte aus dem Umfeld der Regierung belief sich am Mittwochmittag bereits auf 17. Hintergrund ist eine ganze Reihe von Skandalen, die Johnson zuletzt immer mehr belastet hatten. Jüngster Streit ist der Fall des einst führenden Tory-Fraktionsmitglieds Chris Pincher, der sich Vorwürfen sexueller Belästigung ausgesetzt sieht. Ein Regierungssprecher hatte zuletzt eingeräumt, dass der Premierminister doch schon 2019 über Anschuldigungen gegen seinen konservativen Parteifreund im Bilde war. Zuvor hieß es, Johnson seien keine konkreten Vorwürfe bekannt gewesen. Pincher hatte bereits mehrere Regierungs- und Parteiämter inne und war erst im Februar von Johnson zum stellvertretenden “Whip” ernannt worden – ein Posten, der für die Fraktionsdisziplin sorgen soll, vergleichbar mit dem Parlamentarischen Geschäftsführer in deutschen Parlamenten. Am Dienstag hatte Johnson die Berufung als Fehler bezeichnet – die Ministerrücktritte konnte er damit aber nicht mehr verhindern. Pincher selbst war letzte Woche zurückgetreten, nachdem Medien berichtet hatten, er habe zwei Männer im betrunkenen Zustand begrapscht.
Mittlerweile ist auch seine Mitgliedschaft in der Fraktion ausgesetzt. Der jüngsten Krise vorausgegangenen waren weitere Sexskandale in der Regierungspartei. Auch der Streit um Partys am Regierungssitz trotz des damals geltenden Corona-Lockdowns hatten dem Ansehen Johnsons geschadet. Erst Anfang Juni hatte der Regierungschef ein Misstrauensvotum seiner eigenen Partei knapp überstanden.
Eine weitere Vertrauensabstimmung ist nach den aktuell geltenden Regeln innerhalb von zwölf Monaten nicht möglich. Britische Medien spekulierten in den vergangenen Tagen aber bereits über eine mögliche Änderung dieser Regelung.
dts Nachrichtenagentur