In Chile kommt es kurz vor Weihnachten zur Stichwahl um das Präsidentenamt zwischen zwei politisch diametral entgegengesetzten Kandidaten. In der ersten Runde am Sonntag landete der ultrakonservative Anwalt José Antonio Kast mit rund 28 Prozent der Stimmen auf dem ersten Platz, gefolgt von dem stark linksgerichteten Ex-Studentenführer Gabriel Boric mit mehr als 25 Prozent. Kast und Boric treten nun am 19. Dezember in einer zweiten Wahlrunde gegeneinander an.
Kast kündigte in einer ersten Reaktion auf die Ergebnisse an, dass er in Chile “den Frieden, die Ordnung, den Fortschritt und die Freiheit” wiederherstellen wolle. Seinen Rivalen Boric und dessen Verbündete von der Kommunistischen Partei bezeichnete Kast als Verursacher von “Instabilität”. Diese wollten auf dem “Weg des Hasses, der Intoleranz und der Zerstörung” voranschreiten.
Boric wiederum nahm in einer Ansprache in der Wahlnacht für sich in Anspruch, ein “ernsthaftes und verantwortungsbewusstes” Reformprojekt zu betreiben. Dieses ziele darauf auf, die allgemeine “Lebensqualität” im Land zu verbessern. “Wir sind nicht auf die Straße gegangen, damit alles gleich bleibt”, rief er aus.
Nach Auszählung von 95,6 Prozent der Stimmen lag Kast bei 27,9 Prozent, wie die Wahlbehörde mitteilte. Boric kam auf 25,7 Prozent. Auf dem dritten Platz landete der rechtsliberale Kandidat Franco Parisi mit 13 Prozent. Parisi lebt in den USA und war für seinen Wahlkampf kein einziges Mal nach Chile gereist – seine gesamte Kampagne führte er über das Internet.
Für einen Sieg bereits in der ersten Wahlrunde wäre ein Ergebnis von mehr als 50 Prozent der Stimmen erforderlich gewesen. Sieben Kandidaten waren in der ersten Runde angetreten. Der bisherige Staatschef Sebastián Piñera scheidet im März aus dem Amt. Nach zwei Amtszeiten durfte der konservative Politiker nicht erneut kandidieren.
Kast und Boric repräsentieren entgegengesetzte Pole des politischen Spektrums in dem südamerikanischen Land. Ihr Konkurrenzkampf spiegelt somit die tiefe Spaltung der chilenischen Gesellschaft wider. Sowohl Kast als auch Boric gehören Parteien an, die bislang in der chilenischen Politik keine tragende Rolle spielten und an den Regierungen seit dem Ende der Militärdiktatur von Augusto Pinochet vor 31 Jahren nicht beteiligt waren.
Der deutschstämmige Kast ist Vorsitzender der ultrarechten Republikanischen Partei. Der 55-Jährige ist ein strenger Katholik, der die Homo-Ehe und Abtreibungen ablehnt. Zugleich ist er ein Anhänger Pinochets und von dessen neoliberalem Wirtschaftsmodell.
Der erst 35-jährige Boric vom Linksbündnis Apruebo Dignidad setzt sich hingegen für mehr soziale Gerechtigkeit, eine Reform des privaten Rentensystems und eine stärkere Rolle des Staates im Gesundheits- und Bildungswesen ein.
Chile hat zwar eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen in Lateinamerika – aber auch eine der höchsten Konzentrationen von Multimillionären. Die sozialen Unterschiede in dem Land sind sehr stark ausgeprägt. Die Arbeiterklasse und auch große Teile der Mittelschicht sind hoch verschuldet – häufig auch, um Bildung und private Renten zu bezahlen. Für die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich machen viele Chilenen die bisherige Verfassung verantwortlich, die noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur stammt.
Die Abschaffung der Verfassung zählte zu den zentralen Forderungen bei den Massenprotesten vor zwei Jahren, die sich an den extremen sozialen Ungleichheiten entzündet hatten. In einem historischen Referendum stimmten dann ein Jahr später mehr als drei Viertel der Wahlberechtigten dafür, dass es eine neue Verfassung geben soll. Im vergangenen Juli nahm die verfassunggebende Versammlung ihre Arbeit auf.
Quelle: AFP