Zu wenige Plätze im Westen, zu wenige Erzieher im Osten: Deutschland ist trotz massiven Kitaausbaus weit von einer idealen Kinderbetreuung entfernt. Das ist eines der Ergebnisse des am Dienstag vorgestellten aktuellen Ländermonitorings “Frühkindliche Bildungssysteme” der Bertelsmann-Stiftung. Demnach stellt sich die Situation der Kindertagesbetreuung im Vergleich der einzelnen Bundesländer sehr unterschiedlich dar.
Es zeige sich ein doppeltes Ost-West-Gefälle. Nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung besuchen in Ostdeutschland 53 Prozent der Kinder unter drei Jahren eine Kita oder Kindertagespflege. Im Westen liege dieser Anteil bei lediglich 31 Prozent.
Gemessen am Personalschlüssel böten die westdeutschen Kitas eine höhere Qualität: Rechnerisch betreut dort eine Fachkraft dreieinhalb Krippenkinder. In den ostdeutschen Bundesländern kommen statistisch gesehen fünfeinhalb Kinder auf eine Erzieherin oder einen Erzieher. Kindgerecht sei ein Personalschlüssel von eins zu drei zwischen Fachkraft und Kind.
Dem ebenfalls am Dienstag vorgestellten ersten sogenannten Fachkräfteradar für Kita und Grundschule zufolge lässt es sich in diesem Jahrzehnt nicht mehr realisieren, gleichzeitig eine kindgerechte Betreuung und ausreichend Kitaplätze zu schaffen. Demnach klafft im Jahr 2030 zwischen dem prognostizierten Bedarf und dem voraussichtlichen Angebot an Fachkräften eine Lücke von mehr als 230.000 Erzieherinnen und Erziehern.
Diese Lücke lasse sich nicht durch eine Aufstockung der Ausbildungskapazitäten schließen, weil dafür Berufsschullehrkräfte fehlten. Auch genug Quereinsteigerinnen und -einsteiger könnten bis 2030 nicht mehr gewonnen werden, prognostizierte die Stiftung. Zusätzlich verschärfen werde sich die Personalsituation mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab 2026.
Dennoch bestehe eine realistische Chance, die Betreuungssituation bis 2030 zu verbessern, wenn Bund und Länder sich besser koordinierten, erklärte der Stiftungsvorsitzende Jörg Dräger. “Das Gefälle zwischen Ost und West bei Teilhabe und Qualität aufzulösen, wäre ein echter Durchbruch in der frühkindlichen Bildung”, betonte er. Der Fachkräftemangel sei überwindbar, wenn sich ab sofort alle politischen Anstrengungen darauf konzentrierten.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte mit Blick auf die Untersuchung flächendeckend geltende Mindeststandards für eine “verbesserte Fachkraft-Kind-Relation”. “Für eine gemeinsame Handlungsstrategie, mehr Fachkräfte zu gewinnen und zu qualifizieren, brauchen Bund, Länder, Kommunen und Träger einen Schulterschluss”, erklärte Doreen Siebernik vom GEW-Bundesvorstand. “Die Bildungschancen der Kinder dürfen nicht von der Postleitzahl abhängig sein.”
Auch die Gewerkschaft Verdi schloss sich der Forderung nach einem verbesserten Personalschlüssel in Ostdeutschland an, wo die Beschäftigten “an der Belastungsgrenze” arbeiteten. In den westdeutschen Bundesländern müssten dafür Kitaplätze und die sozialpädagogische Ausbildung weiter ausgebaut werden.
Das Deutsche Kinderhilfswerk bezeichnete die Zahlen aus der Bertelsmann-Untersuchung als “enttäuschend”. Das Fachkräfteradar lege die Versäumnisse der Vergangenheit “schonungslos offen”. “Wir brauchen hier mehr Tempo als bisher, um diese Situation schnell zu verbessern”, erklärte Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann.
Weitere Probleme der Kitas verdeutlichte eine ebenfalls am Dienstag vorgestellte aktuelle Studie des Deutschen Kitaleitungskongresses (DKLK). Mehr als zwei Drittel der Kitaleitungen gaben darin an, dass sich der Personalmangel in der Corona-Pandemie verschärft habe und es noch schwieriger geworden sei, offene Stellen mit passenden Bewerberinnen und Bewerbern zu besetzen.
Rund 40 Prozent der Kitaleitungen arbeiteten der Umfrage zufolge in mehr als einem Fünftel der Zeit mit so wenig Personal, “dass die Aufsichtspflicht nicht mehr vollständig gemäß den gesetzlichen Vorgaben gewährleistet werden konnte”. An der Umfrage beteiligten sich rund 4460 Kitaleitungen.
Grundlage des jährlich aktualisierten Ländermonitorings der Bertelsmann-Stiftung sind Auswertungen von Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder. Zur genaueren Abschätzung der benötigten Fachkräfte in der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder will die Stiftung Ende des Jahres eine Folgestudie veröffentlichen.
Quelle: AFP