Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartet nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan eine wachsende Zahl von Flüchtlingen. “Viele Menschen werden versuchen, das Land zu verlassen”, sagte Merkel nach AFP-Informationen am Montag in der Sitzung der CDU-Parteigremien in Berlin. Kritisch äußerte sich Merkel zur Entscheidung der USA zum Truppenabzug aus Afghanistan: Dies habe einen “Domino-Effekt” bewirkt, der nun zur Machtübernahme der radikalislamischen Taliban geführt habe.
Die Bundesregierung werde im Umgang mit der erwarteten Fluchtbewegung eng mit den Nachbarländern Afghanistans zusammenarbeiten, sagte Merkel demnach: “Wir sollten alles tun, um den Ländern dabei zu helfen, die Geflüchteten zu unterstützen”, wurde Merkel zitiert. “Das Thema wird uns noch sehr lange beschäftigen.”
Die Kanzlerin zeigte sich erschüttert über die Lage in Afghanistan. “Für die vielen, die an Fortschritt und Freiheit gebaut haben – vor allem die Frauen -, sind das bittere Ereignisse”, wurde Merkel gegenüber AFP zitiert.
Die Kanzlerin ließ demnach auch Kritik an der Entscheidung der US-Regierung zum Truppenabzug durchblicken. Diese Entscheidung habe vor allem “innenpolitische Gründe” gehabt, sagte Merkel laut Teilnehmern. Der Abzug der US-Truppen habe einen “Domino-Effekt” ausgelöst, der zum Zusammenbruch von Afghanistans Armee und Regierung und zur Machtübernahme der Taliban geführt habe.
“Wir haben immer gesagt: Wenn die Amerikaner dort bleiben, dann bleiben wir dort auch”, wurde Merkel zitiert. “Die Amerikaner haben dort viele Leben geopfert. Es bleibt bitter.” Nun heiße es: “So viele Menschen wie möglich in Sicherheit bringen und den Organisationen helfen, die Menschen retten.”
Beim Evakuierungseinsatz der Bundeswehr in Kabul arbeite Deutschland eng mit den USA zusammen, sagte Merkel demnach. “Ohne die Hilfe der Amerikaner könnten wir so einen Einsatz nicht machen.”
Die Bundesregierung habe vor Monaten bereits 2500 Ortskräfte identifiziert, wurde Merkel zitiert. Zudem habe die Regierung 2000 weitere Einheimische identifiziert, die mit deutscher Hilfe außer Landes gebracht werden sollten – etwa Menschenrechtler und Anwälte. Inklusive der Angehörigen könnten so rund 10.000 Menschen zusammenkommen, die nach Deutschland ausgeflogen werden sollten.
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte dazu nach AFP-Informationen im CDU-Bundesvorstand: “So lange es möglich ist, wird die Bundeswehr so viele Menschen wie möglich aus Afghanistan rausholen und die Luftbrücke aufrecht halten.” Dies hänge vor allem von der Unterstützung der US-Truppen ab, den Flughafen in Kabul offen zu halten.
Kramp-Karrenbauer berichtete, sie habe mit Bundeswehr-Soldaten gesprochen, die früher im Afghanistan-Einsatz waren – “sie waren erschüttert über das, was passiert.”
CDU-Chef Armin Laschet sprach sich laut Teilnehmern in der Vorstandssitzung dafür aus, vor allem auch gefährdete Frauen aus Afghanistan herauszuholen. Diese Frauen – Rechtsanwältinnen, Bürgermeisterinnen, Lehrerinnen – könnten “die ersten Opfer der Taliban werden”, wurde der Unions-Kanzlerkandidat gegenüber AFP zitiert. Zu seiner Einschätzung der aktuellen Geschehnisse in Afghanistan sagte Laschet demnach: “Eine der schlimmsten Niederlagen des Westens, das steht außer Frage.”
Auch das Bundesinnenministerium stellt sich auf eine steigende Zahl von Flüchtlingen aus Afghanistan ein. “Wir müssen sicherlich davon ausgehen, dass die Menschen vor Ort sich in Bewegung setzen werden und dass die Lage vor Ort zu Migrationsbewegungen führen wird”, sagte eine Ministeriumssprecherin am Montag. Details zur erwarteten Zahl der Flüchtlingen nannte sie nicht.
Quelle: AFP