Radikalislamische Taliban stehen vor Machtübernahme in Kabul

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Die radikalislamischen Taliban stehen vor der vollständigen Machtübernahme in Afghanistan. Innerhalb der “kommenden Tage” wolle die Miliz einen “friedlichen Machttransfer”, sagte Taliban-Sprecher Suhail Schaheen am Sonntag der BBC. Zuvor hatte Afghanistans Innenminister Abdul Sattar Mirsakwal eine “friedliche Machtübergabe” an eine “Übergangsregierung” zugesagt. In der Hauptstadt Kabul herrschte Panik. Westliche Staaten arbeiten unter Hochdruck an der Rückführung ihres zivilen Personals aus Afghanistan.

Nach einem zehntägigen Eroberungsfeldzug durch Afghanistan waren die Taliban am Sonntag bis an den Stadtrand der Hauptstadt Kabul vorgerückt. Ein Taliban-Sprecher schrieb im Onlinedienst Twitter, die Kämpfer der Miliz hätten Anweisung, an den Stadttoren von Kabul Halt zu machen und nicht in die Stadt vorzudringen. “Bis zum Abschluss des Übergabeprozesses liegt die Verantwortung für die Sicherheit von Kabul bei der Gegenseite.”

Kurz darauf signalisierte das Innenministerium, dass Verhandlungen mit den Taliban im Gange seien. “Die Afghanen müssen sich keine Sorgen machen”, sagte Innenminister Mirsakwal. “Es wird keinen Angriff auf die Stadt geben.”

Präsident Aschraf Ghani, mit dessen Rücktritt jederzeit gerechnet wurde, forderte die Sicherheitskräfte in einer Videobotschaft auf, für Recht und Ordnung in der Hauptstadt zu sorgen. Plünderungen würden nicht geduldet. 

Befürchtet wird allerdings, dass die Hauptstadt – die letzte noch verbliebene Bastion der Regierungstruppen – in Chaos versinken könnte. Tausende Polizisten und andere Sicherheitskräfte hatten zuletzt ihre Posten verlassen, viele ließen sogar ihre Uniformen und Dienstwaffen zurück.  

Unter den Bewohnern von Kabul breitete sich angesichts der bevorstehenden Machtübernahme der Taliban Panik aus. Vor den Banken bildeten sich lange Schlangen. Andere Bewohner waren resigniert: “Ich hoffe einfach nur, dass die Rückkehr der Taliban Frieden bringt. Das ist alles, was wir wollen”, sagte der Ladenbesitzer Tarik Nesami.

Die Islamisten hatten in den vergangenen Tagen eine afghanische Stadt nach der anderen oft kampflos eingenommen, zuletzt auch das strategisch wichtige Dschalalabad im Osten und den früheren Bundeswehr-Standort Masar-i-Scharif im Norden.  

Die Geschwindigkeit des Taliban-Vormarsches seit dem Beginn des Abzugs der Nato-Truppen im Mai sorgte international für Fassungslosigkeit. Unter Hochdruck arbeiteten westliche Staaten, darunter Deutschland und die USA, an der Rückführung von Botschaftspersonal sowie der Ausreise von afghanischen Ortskräften aus Kabul. Die Bundeswehr soll am Montag deutsche Staatsbürger und einheimische Ortskräfte aus Kabul ausfliegen. 

Nach Angaben der russischen Regierung ist wegen der Lage in Afghanistan eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats geplant. Eine Krisensitzung soll laut britischen Medienberichten auch in Großbritannien stattfinden; Premierminister Boris Johnson will demnach das Parlament aus der Sommerpause zurückholen. 

Der Tory-Abgeordnete Tobias Ellwood forderte Johnson auf, den Rückzug aus Afghanistan dringend zu “überdenken”. Nur weil die USA nicht eingriffen, müsse Großbritannien nicht das Gleiche tun, sagte er dem Times Radio.

Die Kritik am von Washington beschlossenen vollständigen Truppenabzug hatte zuletzt auch in den USA zugenommen. Trotz des Vorrückens der Taliban verteidigte Präsident Joe Biden die Entscheidung  erneut: Er sei der vierte US-Präsident, der die 20-jährige US-Truppenpräsenz in Afghanistan verantworte, sagte er am Samstag. “Ich werde diesen Krieg nicht einem fünften Präsidenten übergeben.” 

Die Nato erklärte am Sonntag, sie unterstütze die “afghanischen Bemühungen für eine politische Lösung in dem Konflikt”. Dies sei jetzt “dringender denn je”, sagte ein Vertreter des Bündnisses der Nachrichtenagentur AFP.

Quelle: AFP

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