Forderungen nach Neuausrichtung der Corona-Warnwerte mehren sich

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Vor der Bund-Länder-Konferenz am Dienstag mehren sich die Rufe nach einer Abkehr von der Corona-Inzidenz als zentralem Richtwert. SPD-Chefin Saskia Esken forderte am Wochenende eine Neuausrichtung der Corona-Warnwerte; es müsse künftig mehr auf die Auslastung des Gesundheitssystems geachtet werde. Ähnlich äußerten sich die Regierungschefs von Bremen und Niedersachsen, Andreas Bovenschulte und Stephan Weil (beide SPD), sowie der Einzelhandelsverband HDE.

“Wir brauchen einen neuen Wert, der das aktuelle Infektionsgeschehen beschreibt und Inzidenz und Impfquote nachvollziehbar miteinander ins Verhältnis setzt, sagte Bovenschulte der “Welt” vom Samstag. Dank der Impfungen sei es mittlerweile “deutlich unwahrscheinlicher” geworden, dass sich Menschen mit dem Coronavirus anstecken oder daran erkranken: “Noch unwahrscheinlicher ist es, schwer zu erkranken”. Dies müsse “in möglichen neuen Corona-Regeln zum Ausdruck kommen”.

Weil forderte Bund und Länder auf, sich “zwingend gemeinsam auf neue Parameter für die Bewertung der Gefährdungslage” zu verständigen. Zudem seien gemeinsame Kriterien für den Umgang mit Geimpften, Genesenen und Getesteten nötig. Dazu solle gehören, dass Ungeimpfte “ab einem noch festzulegenden Zeitpunkt im Herbst ihre Tests auch selbst bezahlen müssen – natürlich mit Ausnahme derer, die beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können”, sagte er der “Welt”.

Esken sagte der “Rheinischen Post” vom Samstag, es müsse mehr darauf geachtet werden, ob eine Überlastung des Gesundheitssystems drohe, “wenn es darum geht, schärfere Kontaktbeschränkungen anzuordnen”. Höhere Inzidenzwerte allein würden “demnach nicht mehr das ausschlaggebende Kriterium sein”. Esken warnte zudem vor einer “Abzocke” von Ungeimpften und forderte einen Preisdeckel für Corona-Schnelltests.

HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth forderte, bei den Beratungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Länderchefs müsse es “die klare Entscheidung weg von der reinen Inzidenzbetrachtung geben”. Stattdessen werde ein Indikatoren-Modell gebraucht, “in das die Auslastung der Krankenhaus- und ganz besonders Intensivbetten ebenso hineingehört wie die Impfquote”, sagte Genth der “Passauer Neuen Presse”.

Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz bei den Corona-Infektionen steigt in Deutschland seit Wochen wieder kontinuierlich an. Am Samstagmorgen lag der Wert nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) bei 21,2. Am Vortag hatte die Inzidenz erstmals seit dem Frühjahr wieder die Marke von 20 überschritten. Bei der Sieben-Tage-Inzidenz handelt es sich um die Zahl der Ansteckungsfälle pro 100.000 Einwohner innerhalb dieses Zeitraums. Bislang war die Inzidenz ein zentraler Richtwert für Corona-Restriktionen. 

Insgesamt sind nach RKI-Angaben inzwischen rund 54 Prozent der deutschen Bevölkerung vollständig gegen das Coronavirus geimpft. Zwar ist bei vollständigem Impfschutz weiterhin eine Ansteckung möglich, doch ist das Risiko einer Erkrankung deutlich reduziert. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte deshalb bereits vor einigen Wochen erklärt, dass der Inzidenzwert an Aussagekraft verliere.

HDE-Hauptgeschäftsführer Genth appellierte an Bund und Länder, auf einen neuen Lockdown zu verzichten. Erneute Schließungen würden “viele Geschäfte nicht mehr verkraften”, sagte er der “Welt”.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnte vor einer Gefährdung des Konjunkturaufschwungs. “Die aktuelle Erholung der deutschen Wirtschaft darf nicht darüber hinwegtäuschen: Das Bruttoinlandsprodukt liegt noch immer deutlich unter Vorkrisenniveau”, sagte Ilja Nothnagel, Mitglied der DIHK-Hauptgeschäftsführung, der “Rheinischen Post”. Die wirtschaftliche Entwicklung der kommenden Monate hänge sehr vom weiteren Verlauf der Pandemie ab.

Quelle: AFP

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