Die massenhafte Beschaffung von Schutzmasken in der Anfangsphase der Corona-Pandemie bringt dem Bundesgesundheitsministerium weiteren Ärger. In einem Bericht für den Haushaltsausschuss moniert der Bundesrechnungshof, das Ressort habe den Bedarf auf Grundlage von “sachfremden und unrealistischen” Annahmen berechnet und letztlich viel zu viele Masken gekauft. Der ganze Prozess wird in dem Bericht als schwer nachvollziehbar dargestellt. Das Ministerium wehrt sich.
Der Rechnungshofbericht trägt den Titel “Prüfung der zentralen Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung für das Gesundheitswesen”. Das Dokument lag der Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag vor; zuerst hatte der “Spiegel” darüber berichtet.
Den Prüfern zufolge verfügte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) “über eine sachgerechte und an der Beschlusslage der Bundesregierung orientierte Bedarfsermittlung” in Bezug auf Schutzmasken für Beschäftigte im Gesundheitssystem. Doch darüber habe sich das Ressort in seiner Beschaffungstätigkeit “offenbar bewusst” hinweggesetzt.
In einer Stellungnahme habe das Ministerium darauf verwiesen, “intern von einem vollkommen anderen Bedarf ausgegangen zu sein”. Dies sei “für den Bundesrechnungshof nicht nachvollziehbar”. Das Ministerium habe der Behörde “entgegen wiederholter Anforderungen zu diesem Sachverhalt keinerlei Unterlagen” übermittelt.
Bei sogenannten partikelfiltrierenden Halbmasken – also etwa FFP2-Masken – habe das Ministerium eine Milliarde Stück aus dem Ausland beschafft. Das sei “das Dreizehnfache des ermittelten Mindestbedarfs” und das Achtfache der Menge, die bisher ausgeliefert worden sei. Bei einfachen OP-Masken seien 1,6 Milliarden Stück importiert worden – “das Achtfache des Mindestbedarfs und mehr als das Vierfache der erfassten Auslieferungsmenge für die Krankenhäuser und Arztpraxen”.
Insgesamt seien über alle Beschaffungswege und Maskentypen hinweg 5,8 Milliarden Schutzmasken besorgt worden. Dies übersteige “selbst einen vom BMG auf der Grundlage sachfremder Annahmen berechneten Jahresbedarf von 4,7 Milliarden Schutzmasken noch um 23 Prozent”, moniert der Rechnungshof. Es seien dafür 6,3 Milliarden Euro ausgegeben worden. Hinzu kämen “Annexkosten” von bislang 320 Millionen Euro, die durch “Rechtsstreitigkeiten und Entsorgungskosten” weiter ansteigen könnten. Die “Überbeschaffung” und die “Annexkosten” seien “vermeidbar” gewesen.
Der Aktenführung im Ministerium stellt die Behörde ein miserables Zeugnis aus: “Viele Entscheidungen und Einzelmaßnahmen sind im BMG unzureichend dokumentiert und lassen sich nicht nachvollziehen”, heißt es in dem Bericht.
Das Ministerium verschickte als Reaktion auf den Bericht eine vierseitige Stellungnahme. Darin heißt es, wegen der Neuartigkeit des Coronavirus “lagen zum Zeitpunkt der Bedarfsermittlung weder valide wissenschaftliche Erkenntnisse noch entsprechende Erfahrungswerte vor, die exakte Voraussagen ermöglicht hätten”. Das Ministerium habe “unterstützt von Expertise einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft” und “in kürzester Zeit” Maßnahmen für eine “möglichst präzise Bedarfsermittlung und Steuerung der Beschaffungsmengen getroffen”.
Zur Dokumentation erklärte das Ressort von Jens Spahn (CDU), es habe “für jede Transaktion im Zusammenhang mit der Beschaffung von medizinischen Verbrauchsgütern die erforderlichen zahlungsbegründenden Unterlagen vollständig und für einen Dritten nachvollziehbar zusammengestellt und als physische Akte sowie in digitaler Form abgelegt”.
FDP-Fraktionsvizechef Michael Theurer forderte eine umfassende Untersuchung. “Kanzlerin Merkel muss einen Sonderermittler einsetzen”, erklärte er. “Es braucht kurzfristig vollständige Transparenz zu den Pleiten, Pech und Pannen im Bundesgesundheitsministerium, um zukünftig dieser milliardenschweren Verschwendung von Steuergeld vorzubeugen.” Nötig sei auch ein Untersuchungsausschuss in der nächsten Legislaturperiode.
Quelle: AFP