Israels Oppositionsführer Lapid bildet Koalition ohne Netanjahu

Copyright POOL/AFP/Archiv Annette Riedl

Israel steht vor einem Machtwechsel: Kurz vor Fristende hat Oppositionsführer Jair Lapid am Mittwochabend eine Regierungskoalition ohne den bisherigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gebildet. Er habe den Präsidenten des Landes über die Regierungsbildung informiert, hieß es in einer Erklärung des 57-jährigen ehemaligen Fernsehmoderators. Lapid hat nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags nun sieben Tage Zeit für die Bildung eines Kabinetts.

Für seine Anti-Netanjahu-Koalition zahlt der Oppositionsführer einen hohen Preis: Er will dem nationalistischen Hardliner Naftali Bennett in dem gemeinsamen Bündnis mit rotierender Führung den Vortritt als Regierungschef lassen. Lapid würde dann in zwei Jahren Ministerpräsident werden. 

Mit der Koalition aus acht Parteien, die das gesamte politische Spektrum von links bis rechts umfasst, käme die Ära Netanjahu zu einem Ende. Es wäre die erste Regierung seit zwölf Jahren ohne “König Bibi” an der Spitze. Netanjahu müsste mit seiner Likud-Partei in die Opposition gehen, obwohl sie als stärkste Kraft aus der Parlamentswahl im März hervorgegangen war. 

Lapid hatte bis kurz vor Mitternacht Zeit, um eine Regierung zu bilden. Eine Frist, die er nur knapp einhielt, denn die Verhandlungen waren bis zuletzt festgefahren. Zuletzt hatte die islamisch-konservative Partei Raam allerdings ihre Unterstützung für die Koalition des “Wandels” von Lapid und Bennett erklärt. Die Zustimmung von Raam war lange fraglich. 

Offenbar ließ sich Parteichef Mansur Abbas Zusagen für Gelder zusichern, die der arabischen Minderheit in Israel zugutekommen würden. Arabische Israelis machen 20 Prozent der Bevölkerung aus. Seit den 90er Jahren unter dem später ermordeten Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin hat keine arabische Partei die Regierungskoalition unterstützt. 

Um das Anti-Netanjahu-Bündnis zu realisieren, benötigte Lapid die Unterstützung einer Mehrheit der 120 Knesset-Abgeordneten. Vereinbarungen treffen musste er dafür mit sieben Parteien, darunter die Neupartei “Neue Hoffnung” des ehemaligen Netanjahu-Verbündeten Gideon Saar, die Siedler-Partei Jisrael Beitenu des säkularen Nationalisten Avigdor Lieberman, die Arbeitspartei und das Mitte-Bündnis Blau-Weiß des derzeitigen Verteidigungsministers Benny Gantz.

“Diese Regierung wird daran arbeiten, allen Bürgern Israels zu dienen, auch denen, die ihr nicht angehören, sie wird diejenigen respektieren, die sich ihr widersetzen, und sie wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um alle Teile der israelischen Gesellschaft zu vereinen”, sagte Lapid in einem Telefonat mit Staatspräsident Reuven Rivlin. Vor dem Hotel, in dem die Verhandlungen stattfanden, versammelten sich hunderte Demonstranten, die sowohl für als auch gegen die “Koalition des Wandels” protestierten. 

Israel befindet sich nach vier Wahlen binnen zwei Jahren mit uneindeutigem Wahlausgang in einer politischen Krise. Scheitert Lapid doch noch auf der Zielgeraden, droht dem Land eine fünfte Parlamentswahl.

Quelle: AFP

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