In der juristischen Aufarbeitung des Dieselskandals sind am Donnerstag zwei höchstinstanzliche Urteile verkündet worden, die einerseits die Unzulässigkeit von Abgasmanipulationen feststellen, andererseits für klagende Verbraucher aber auch Einschränkungen bedeuten. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschied, dass Diesel-Klagen gegen VW ab Anfang 2019 weitgehend verjährt sind. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte, dass Autohersteller keine Abschalteinrichtungen nutzen dürfen, die gezielt die Abgaswerte auf dem Prüfstand verbessern. (Az: VI ZR 739/20; C-693/18 CLCV und weitere)
Der EuGH in Luxemburg entschied, dass solche Abschalteinrichtungen auch nicht mit dem Ziel zu rechtfertigen seien, damit Verschleiß und Verschmutzung des Motors zu verhindern. Nach Volkswagen müssen damit vermehrt auch andere Hersteller mit Schadenersatzforderungen rechnen.
Anlass des EU-weit geltenden Grundsatzurteils ist ein Strafverfahren in Frankreich gegen einen Autohersteller, der in Frankreich Kraftfahrzeuge vertreibt, nach AFP-Informationen VW.
Das EuGH-Urteil erging auf Grundlage der EU-Verordnung zur Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen aus dem Jahr 2007. Weil es hier um ein Strafverfahren ging, entschied der EuGH aber nicht ausdrücklich, ob eine Typengenehmigung durch eine unzulässige Abschaltvorrichtung hinfällig wird. Hersteller müssten in dem Fall sämtliche Autos mit einer solchen Einrichtung europaweit zurückrufen.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) forderte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) auf, schnellstmöglich zu klären, welche Folgen das Urteil für Verbraucher hat und ob es zu verpflichtenden Rückrufen kommen werde. Die Autokonzerne müssten nun allen betroffenen Kunden kostenlos und unkompliziert Hard- oder Softwareupdates anbieten, forderte vzbv-Chef Klaus Müller.
Der Automobilverband VDA erklärte, das Urteil bestätige, “was wir seit fünf Jahren wissen”. Die Verbesserung des Emissionsverhaltens auf dem Prüfstand sei unzulässig und werde auch “nicht mehr gemacht”. Das Bundesverkehrsministerium erklärte dazu, die Auslegung des EuGH entspreche der deutschen Rechtsauffassung.
Keine Entscheidung fällte der EuGH zu sogenannten Thermofenstern, die die Abgasreinigung bei hohen und insbesondere auch bei niedrigen Außentemperaturen im Winter abschalten. Dies hob nach dem EuGH-Urteil auch VW hervor. Der Konzern betonte, dass das Thermofenster bei modernen Dieselfahrzeugen “praktisch keine Bedeutung mehr” habe.
Im Falle der Verjährungsfrage entschied der BGH, dass etwa 9000 Diesel-Klagen gegen Volkswagen aus den Jahren 2019 und 2020 wohl weitgehend schon seit Anfang 2019 verjährt sind. Nach Auffassung der Karlsruher Richter reicht es dafür aus, wenn Autofahrer bis Ende 2015 wussten, dass ihr Fahrzeug über eine Abschalteinrichtung verfügt. Kenntnisse über die internen Verantwortlichkeiten bei VW waren nicht erforderlich.
Die gesetzliche Verjährungsfrist von drei Kalenderjahren beginnt erst Anfang des Folgejahres, nachdem der Anspruch bekannt war. VW hatte hier auf seine Ad-hoc-Mitteilung – also eine Pflichtmitteilung an die Kapitalmärkte – vom 22. September 2015 verwiesen, in der der Wolfsburger Konzern die Verwendung einer illegalen Software in weltweit elf Millionen Fahrzeugen zugegeben hatte. Danach habe es eine umfassende Medienberichterstattung über die Abgasmanipulationen gegeben.
Im Streitfall hatte daher das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart entschieden, dass die Verjährungsfrist Anfang 2016 begann und damit Ende 2018 auslief. Weil der Kläger erst 2019 geklagt hatte, sei dies verjährt. Andere Gerichte waren dagegen davon ausgegangen, dass zur Kenntnis des Klageanspruchs noch weitere Informationen gehören, hier insbesondere, wer bei VW für die Abgasmanipulationen verantwortlich war.
Wie nun der BGH entschied, war eine Klage aber auch ohne diese Kenntnisse zumutbar. Der Einsatz einer Abschalteinrichtung in mehreren Millionen Fahrzeugen sei für VW mit “enormen Risiken” verbunden gewesen. Es sei daher naheliegend gewesen, “dass eine solche Strategieentscheidung nicht etwa von einem untergeordneten Mitarbeiter im Alleingang, sondern von einem Vorstand oder einem sonstigen verfassungsmäßig berufenen Vertreter getroffen oder jedenfalls gebilligt worden war”.
Der Kläger habe sogar gewusst, dass sein Auto von dem Skandal betroffen ist. Darauf, ob er schon 2015 aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zog, komme es nicht an.