Das Bundesverfassungsgericht hat die bisher in der Antiterrordatei vorgesehene erweiterte Datennutzung für teilweise verfassungswidrig erklärt. Ein Satz, der das sogenannte Data-Mining zur Verfolgung von Terrorismus erlaubt, verletze das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, teilte das Gericht am Freitag in Karlsruhe mit. Darin fehle die dafür notwendige Voraussetzung eines “verdichteten Tatverdachts”. (Az. 1 BvR 3214/15)
Laut Antiterrordateigesetz von 2006 werden in einer beim Bundeskriminalamt (BKA) geführten Datei bestimmte Daten von Menschen gespeichert, die des Terrorismus oder der Terrorunterstützung verdächtigt werden. Zugriff darauf haben das BKA, die Landeskriminalämter und die Geheimdienste.
Schon 2013 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Datei teilweise gegen die Verfassung verstoße. Daraufhin wurde das Gesetz geändert und unter anderem Paragraf 6a zugefügt, um den es in der Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ging. Er regelt erstmals die sogenannte erweiterte Nutzung einiger in der Datei gespeicherter Daten.
Beteiligte Bundesbehörden dürfen demnach in bestimmten “einzelfallbezogenen Projekten” Datenbestände miteinander verknüpfen und mithilfe von Software statistisch auswerten. Zudem dürfen sie phonetische und auch unvollständige Daten zur Suche einsetzen sowie mehrere Datenfelder nutzen, um neue Erkenntnisse und Zusammenhänge zu erzeugen.
Voraussetzung für diese erweiterte Nutzung der Datei ist, dass es im jeweiligen Einzelfall um die Sammlung und Auswertung von Informationen zur Gefahrenabwehr, um die Verfolgung oder die Aufklärung von internationalen terroristischen Straftaten geht.
Den ersten Satz des zweiten Absatzes, in dem es um die “Verfolgung qualifizierter Straftaten des internationalen Terrorismus” geht, erklärte das Bundesverfassungsgericht nun für nichtig. Es fehle eine “hinreichend qualifizierte Eingriffsschwelle”. Notwendig für die erweiterte Datennutzung sei hier ein “verdichteter Tatverdacht”, also mehr als ein bloßer Anfangsverdacht zur Einleitung von Ermittlungen.
Die beiden übrigen Absätze des Paragrafen halten die Karlsruher Richter für verfassungsgemäß. Allerdings dürfe der Absatz, in dem es um die Verhinderung terroristischer Straftaten geht, nicht falsch verstanden werden: Die erweiterte Datennutzung für eine “bloße Vor- oder Umfeldermittlung ohne Bezug zu einer zumindest konkretisierten Gefahr” sei nicht erlaubt.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums (BMI) sagte in einer Reaktion auf den Senatsbeschluss, das Gericht habe eine einzelne Regelung des Gesetzes für nichtig erklärt, gleichzeitig aber festgestellt, dass es im Übrigen verfassungsgemäß sei. Das BMI werde den Beschluss “eingehend prüfen und auswerten”.
Vertreter der Oppositionsfraktionen kritisierten nach dem Beschluss des Gerichts die Bundesregierung. Der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Konstantin von Notz erklärte, die Entscheidung mahne “noch einmal zu größter gesetzgeberischer Sorgfalt in dem verfassungsrechtlich sensiblen Feld der Nutzung gemeinsamer Dateien von Bund und Ländern”.
Benjamin Strasser, FDP-Obmann im Innenausschuss des Bundestags, nannte die Antiterrordatei ein “totes Pferd”. Die Datenbank habe für die Arbeit der Sicherheitsbehörden “keinerlei praktische Relevanz und bringt damit null Sicherheitsgewinn”. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae sprach von einem “Paukenschlag”. “Anstatt Überwachung aus- und Grenzen zwischen den Sicherheitsbehörden abzubauen, sollten Union und SPD eine grundlegende Neuordnung der gesamten Sicherheitsarchitektur Deutschlands angehen”.
Auch Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, äußerte sich kritisch. Dass die Bundesregierung “bei der Neufassung eines verfassungswidrigen Gesetzes gleich den nächsten Verfassungsbruch begangen hat”, sei peinlich und demonstriere, “dass im Bereich der Sicherheitspolitik die roten Linien des Grundgesetzes systematisch außer Acht gelassen werden”, erklärte sie und forderte eine Evaluation aller “sogenannten Sicherheitsgesetze” der vergangenen 20 Jahre.
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