Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat mit kritischen Tweets zu einer Demonstration der rechtsextremen NPD gegen Journalisten und deren Arbeit nicht gegen seine Neutralitätspflichten verstoßen. Der niedersächsische Staatsgerichtshof in Bückeburg wies eine entsprechende Klage der NPD am Dienstag ab. “Es gehört zu den Amtspflichten des Ministerpräsidenten, sich schützend vor die freiheitlich demokratische Grundordnung und ihrer Institutionen zu stellen”, erklärten die Landesverfassungsrichter. (Az.: StGH 6/19)
Laut Urteil ist die mit dem Amt des Regierungschefs einhergehende Neutralitätspflicht im politischen Meinungsstreit zwischen Parteien “eingeschränkt”, sofern es um den Schutz der freiheitlichen Ordnung und die Sensibilisierung der Bevölkerung für demokratiegefährdende Entwicklungen geht. Insofern handle es sich bei den Mitteilungen Weils um einen Eingriff in das Recht auf chancengleiche Teilnahme am politischen Prozess. Er sei aber durch Amtsbefugnisse gedeckt.
Der Ministerpräsident habe mit den von der NPD angegriffenen Tweets “als Teil des Verfassungsorgans Landesregierung” lediglich ihm zustehende Befugnisse der Öffentlichkeitsarbeit genutzt, befand der Gerichtshof. “Er setzte sich im Zusammenhang mit einem konkreten Angriff einer als verfassungsfeindlich festgestellten Partei für einen unverzichtbaren Grundpfeiler der Demokratie – nämlich der Institution ‘Freie Presse’, der Pressefreiheit und dem Schutz von Journalistinnen und Journalisten – ein”, hieß es im Urteil.
Hintergrund ist eine von der NPD organisierte Demonstration in Hannover im November vergangenen Jahres, die sich konkret gegen bestimmte Journalisten und deren Recherchearbeit richtete und als Bedrohungs- und Einschüchterungsversuch gewertet wurde. Weil bezeichnete dies in Nachrichten im Kurzbotschaftendienst Twitter unter anderem als “perfide” und rief zu Gegenprotesten auf.
Eine wichtige Rolle bei der Bewertung des Sachverhalts spielten laut Staatsgerichtshof auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur NPD von 2017 und seine Folgen. Die Richter in Karlsruhe hatten ein Parteienverbot damals wegen der geringen Bedeutung der NPD abgelehnt, ihr allerdings ausdrücklich Verfassungsfeindlichkeit bescheinigt.
Dies führt nach Meinung des niedersächsischen Verfassungsgerichts dazu, dass sich die NPD weiter auf das im Grundgesetz garantierte Recht auf chancengleiche Teilhabe am politischen Prozess berufen kann. Es gelte zwar das Prinzip, dass sie als verfassungsfeindliche Partei “politisch bekämpft” werden dürfe. Die NPD dürfe zugleich in ihrer “politischen Aktivität” allerdings nicht behindert werden.
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