Mitglieder des Wirecard-Untersuchungsausschusses des Bundestags bestehen auf einer persönlichen Befragung früherer Topmanager des insolventen Finanzdienstleisters. Das Gesetz sehe die Vernehmung des persönlich anwesenden Zeugen als Regelfall vor, und das aus guten Gründen, heißt es in einem gemeinsamen Statement von FDP, Linken und Grünen vom Samstag. Die Staatsanwaltschaft München I befürwortet dagegen aus Sicherheitsgründen eine Videoschalte, Anwälte eines Zeugen drohen gar mit einer Klage gegen eine Vorladung nach Berlin.
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss kommt am Donnerstag zusammen, angehört werden sollen der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun sowie die ehemaligen Manager Stephan Freiherr von Erffa und Oliver Bellenhaus. Sie sitzen alle getrennt voneinander in Bayern in Haft.
“Es kann nicht sein, dass wir bei unseren wichtigsten Wirecard-Zeugen auf den persönlichen Eindruck verzichten”, sagte der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer der “Süddeutschen Zeitung”, NDR und WDR. “Eine persönliche Vernehmung ist deutlich effizienter als eine Schalte”, sagte Jens Zimmermann von der SPD.
Doch die Staatsanwaltschaft München I schreibt mit Datum vom 11. November, sie sehe mehrere Probleme beim persönlichen Erscheinen der drei Männer in Berlin: Es sei zu erwarten, dass die Beschuldigten untereinander Kontakt aufnehmen und möglicherweise Aussagen absprechen, heißt es in der Mail, die AFP vorlag. Die Ermittlungen seien dadurch “massiv gefährdet”. Wegen der “Sondersituation Pandemie” sei zudem jeder nicht zwingend erforderliche Kontakt zu vermeiden.
Schließlich erhöhe sich bei einer “Verschubung” nach Berlin für die Zeugen die Gefahr eines Angriffs durch Dritte – die Staatsanwaltschaft nennt etwa enttäuschte Anleger, die durch die Pleite von Wirecard viel Geld verloren haben. Einer der möglichen Mittäter, der über sehr gute Geheimdienstkontakte verfügen solle, sei zudem immer noch auf der Flucht. Gemeint ist Jan Marsalek, der ehemalige Finanzchef von Wirecard.
Die Staatsanwaltschaft empfiehlt daher eine Befragung per Videoschaltung. Die Justizvollzugsanstalten Augsburg, Landshut und München-Stadelheim verfügten jeweils über Videokonferenzmöglichkeiten. Eine Vernehmung in dieser Form dürfte “ohne weiteres möglich sein”.
Brauns Anwalt Alfred Dierlamm sagte dem “Handelsblatt” bereits, “angesichts der bestehenden Gesundheitsrisiken im Hinblick auf Covid-19” hätten die Anwälte eine Videovernehmung beantragt.
Die Obleute von FDP, Linkspartei und Grünen im Ausschuss, Florian Toncar, Fabian de Masi und Danyal Bayaz, weisen in ihrer gemeinsamen Erklärung den “Anspruch” eines Zeugen auf Videovernehmung zurück. Eine solche Vernehmung stehe im Ermessen des Ausschusses und habe Ausnahmecharakter.
Die persönliche Vernehmung sei “authentischer”, erklärten die drei Obleute. Das Bedürfnis nach einem authentischen Eindruck von einem Zeugen wiege umso schwerer, je bedeutender ein Zeuge für die Aufklärungsarbeit des Untersuchungsausschusses ist. “Alle drei hier in Rede stehenden Zeugen sind für unsere Arbeit von hoher, der Zeuge Dr. Braun sogar von herausragender Bedeutung.”
Auch den Antrag des Anwalts von Ex-Manager Bellenhaus, dieser sei wegen einer angekündigten Auskunftsverweigerung ein “ungeeignetes Beweismittel” und daher “abzuladen”, wiesen die Obleute am Samstag zurück.
Wirecard hatte Ende Juni Insolvenz angemeldet. Das Unternehmen aus Aschheim bei München soll jahrelang seine Bilanzen gefälscht haben. Insgesamt 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten in Asien liegen sollten, sind nicht auffindbar. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs.
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss soll mögliche Versäumnisse im Umgang der Bundesregierung und ihrer Behörden wie der Bafin mit dem Fall Wirecard aufklären. Das Gremium wurde von den Oppositionsfraktionen der Linken, Grünen und FDP beantragt. Er will auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) anhören.
© Agence France-Presse