Wenn sie über Beleidigungen entscheiden, müssen Richter auch die Meinungsfreiheit berücksichtigen. Eine strafrechtliche Verurteilung wegen ehrschmälernder Äußerungen erfordere “in aller Regel eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Interessen”, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Donnerstag. Nur im Einzelfall sei diese Abwägung entbehrlich. (Az. 1 BvR 2249/19)
Die Karlsruher Richter gaben der Verfassungsbeschwerde eines Manns in Sicherungsverwahrung statt, der eine Sozialarbeiterin “Trulla” genannt hatte, nachdem er sein Taschengeld zu spät bekommen hatte. Der Mann wurde wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt.
Für eine solche Verurteilung müssten allerdings die drohenden Beeinträchtigungen der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite abgewogen werden, entschied das Bundesverfassungsgericht nun. Dies sei hier nicht geschehen. Der Tatbestand der Beleidigung sei nur dann erfüllt, wenn “das Gewicht der persönlichen Ehre in der konkreten Situation die Meinungsfreiheit des Äußernden überwiegt”.
Ein Gericht dürfe nur ausnahmsweise von dieser Abwägung absehen, wenn nämlich die fraglichen Äußerungen die Menschenwürde antasten, eine Formalbeleidigung oder Schmähung sind. Über die Äußerung des Manns muss nun neu verhandelt werden. Das Bundesverfassungsgericht bekräftigte damit eine Klarstellung aus dem Juni zu den verfassungsrechtlichen Maßgaben für Verurteilungen wegen Beleidigung.
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