Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat empört auf einen Vorstoß des nordrhein-westfälischen Integrationsministers Joachim Stamp (FDP) zur Flüchtlingsverteilung reagiert. “Ich kriege Puls, wenn ich solche Sätze höre. Wenn man über ländliche Gebiete redet – warum fällt Herrn Stamp da nur der Osten ein? Es ist verletzend und unangemessen, im 32. Jahr der deutschen Einheit den Eindruck zu erwecken, man hätte irgendeine Region, mit der man sich Probleme vom Hals schaffen kann”, sagte Ramelow der “Welt”.
Stamp hatte zuvor gefordert, wegen der hohen Zahl von Flüchtlingen aus der Ukraine zu prüfen, “ob man in den eher einwohnerärmeren Regionen im Osten möglicherweise großflächigere Einrichtungen bauen kann”. Unabhängig von diesem Vorschlag ist Ramelow der Meinung, “dass wir den Ukrainern, die vor dem Krieg flüchten, dort besser helfen können, wo die örtliche Versorgung – also medizinisch, aber auch Kindergärten oder Schulen – mehr freie Kapazitäten hat”, wie er sagte. “Das kann aber genauso gut für Ostfriesland wie für Regionen in Thüringen gelten. Städte wie Erfurt und Jena würden ebenso wie Berlin und Hamburg schnell an ihre Grenzen kommen.” Nach Angaben von Ramelow wird erst einmal geprüft, wo es leer stehende Gebäude gibt. “Unterkünfte zu bauen – das würde implizieren, man gehe davon aus, dass die große Zahl der Flüchtlinge nicht mehr zurückgehen werde. Würde das zutreffen, wären wir in einer Situation, in der die Ukraine entvölkert wird. Das möchte ich derzeit nicht mal denken”, so der Regierungschef.
Vom Bund forderte Ramelow mehr Engagement. “Der Bund, insbesondere das Bundesinnenministerium, muss sich stärker um die Verteilung kümmern und die Verteilungsstelle in Berlin als seine Zuständigkeit begreifen. Wenn Menschen dort registriert wurden und ihre Formalitäten zum Aufenthalt erhalten haben, sollten sie weiterverteilt werden. Wir bekennen uns in diesem Kontext zum Königsteiner Schlüssel”, sagte er.
Trotz der Startschwierigkeiten erwartet er keine Akzeptanzprobleme. “Mit breiten Protesten aus der Bevölkerung wie 2015 und 2016 rechne ich nicht. Es macht einen Unterschied, dass es sich um Flüchtlinge aus der Ukraine handelt – auch wenn mir diese Flüchtlingshierarchie unangenehm ist. Ich nehme wahr, dass die Menschen sich hier freuen würden, Ukrainerinnen und Ukrainer aufzunehmen.”
Auch von kommunalen Verbänden kommt einhellige Kritik an Stamps Vorschlag. “Es ist der falsche Zeitpunkt, das jetzt zu diskutieren”, sagte Ralf Rusch, Geschäftsführer des Gemeinde- und Städtebundes Thüringen. Man merke in den täglichen Abstimmungen, dass es noch viele andere Baustellen gebe.
“Da hilft es wenig, wenn man auch noch den Königsteiner Schlüssel infrage stellt. Wir sollten froh sein, dass wir einen solchen Verteilungsmechanismus haben. Jeder weiß Bescheid und kann sich danach richten. Diese kleine Sicherheit brauchen wir in diesen unsicheren Zeiten.”
Es sei auch “problematisch, zu glauben, dass mit großflächigen Einrichtungen eine gute Integration gelingt. Eine großflächige Einrichtung erweckt Assoziationen zu einem Lager. Ich weiß nicht, wie man da erfolgreich integrieren will. Integration findet doch da statt, wo man zusammenlebt.” Nach Ansicht von Michael Struckmeier, Vizegeschäftsführer des Landkreistages Sachsen-Anhalt, geht Stamp von verkehrten Annahmen aus. “Die Wohnungsmärkte sind auch hier angespannt, besonders in den Städten”, sagte Struckmeier. Mit dem Königsteiner Schlüssel bestehe “ein bewährter Verteilungsmechanismus”, der die Überforderung einzelner Länder und deren Bevölkerung verhindern solle. Sachsen-Anhalt habe den Königsteiner Schlüssel Ende vergangener Woche “sogar übererfüllt”.
Der Vorschlag “großflächigere Einrichtungen” würde “dem Ziel einer schnellen Integration der Geflüchteten in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt zuwiderlaufen”. Im Bundesland Brandenburg verweist Jens Graf, Geschäftsführer beim Städte- und Gemeindebund, auf einen Beschluss der Ministerpräsidenten-Konferenz, wonach eine Verteilung nach Königsteiner Schlüssel erfolgen soll. Damit sind “größere Anteile einzelner Bundesländer nicht vereinbar. Hinzu kommt, dass jedenfalls im Land Brandenburg auch in den dünn besiedelten Regionen die Einrichtungen der sozialen Infrastruktur, insbesondere Kindertagesbetreuung, aber auch Schulen, auch schon vor dem Ukraine-Krieg an ihre Grenzen gestoßen sind.”
dts Nachrichtenagentur