Seit Beginn des russischen Angriffs sind mehr als 3000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland registriert worden. Die tatsächliche Zahl könne aber “wesentlich höher” liegen, da an den deutschen Grenzen keine Kontrollen stattfänden, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Dienstag. Nach aktuellen Angaben der Vereinten Nationen sind seit Kriegsbeginn vergangene Woche weit mehr als 600.000 Menschen aus der Ukraine ins Ausland geflüchtet.
Die Schätzungen darüber, wie viele Flüchtlinge in Deutschland zu erwarten sind, gingen auseinander. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) geht nicht von einer großen Flüchtlingsbewegung nach Deutschland aus: Ein Sprecher verwies gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) auf die große Aufnahmebereitschaft in ukrainischen Nachbarländern wie Polen.
Sollte die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland dennoch steigen, rechne das Bamf “aufgrund der überwältigenden Aufnahmebereitschaft der Bundesländer” nicht mit Engpässen bei der Unterbringung, sagte der Sprecher.
Der Städte- und Gemeindebund geht von mehr als 100.000 Menschen aus, die in Deutschland Zuflucht suchen würden. Zunächst würden die Flüchtlinge die Nachbarstaaten Polen oder Rumänien erreichen – dann aber zum Teil weiterziehen, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dem “Handelsblatt”.
Landsberg machte sich für einen Flüchtlingsgipfel stark, um die Flüchtlingsaufnahme zu koordinieren. “In einem ersten Schritt ist es jetzt Aufgabe von Bund und Ländern, gemeinsam mit den Kommunen die notwendigen Vorbereitungen für die Aufnahme und Versorgung der Geflüchteten zu treffen”, sagte er. “Ein Flüchtlingsgipfel unter Einbeziehung weiterer Akteure sollte dann in einem zweiten Schritt zeitnah folgen.”
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gab die Zahl der Geflüchteten am Dienstag mit mehr als 660.000 an. Die Zahl der Flüchtlinge steige “exponentiell” an, sagte eine Sprecherin des UNHCR in Genf. Die meisten Menschen flüchten Richtung Westen in Nachbarländer wie Polen, Ungarn oder die Slowakei. Allein in Polen seien mehr als 300.000 Kriegsflüchtlinge aufgenommen worden.
Die EU-Länder nehmen ukrainische Flüchtlinge derzeit unbürokratisch auf. Die EU will auch eine Regelung beschließen, die für Ukrainer einen vorübergehenden Schutz als Vertriebene vorsieht, so dass diese in den Mitgliedstaaten kein Asylverfahren durchlaufen müssen und bis zu drei Jahre in der EU bleiben könnten.
Das Thema Flüchtlinge spielte auch eine Rolle beim Besuch des luxemburgischen Ministerpräsidenten Xavier Bettel bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin. “Im Fall eines Krieges muss mit starken Fluchtbewegung gerechnet werden”, sagte Bettel bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz. Hier sei Solidarität in der EU gefragt.
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) lobte die Einigkeit Europas im Umgang mit den Flüchtlingen. Die EU habe aus den Erfahrungen der Jahre 2015 bis 2017 gelernt, sagte Göring-Eckardt dem Sender ntv. “Wir erleben, dass Europa sich wirklich einig ist. Einig darin, dass wir alle aufnehmen, die kommen.”
Die Unionsfraktion gab zu bedenken, dass Unterbringungsmöglichkeiten in den Bundesländern bereits vor der Eskalation in der Ukraine begrenzt waren. “Wir brauchen jetzt eine schnelle und verlässliche Bestandsaufnahme und ein kontinuierlich fortgeschriebenes Lagebild über die bundesweit zur Verfügung stehenden Kapazitäten”, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) dem “Handelsblatt”. “Ein Flüchtlingsgipfel wäre nur ein Schritt von vielen.”
Quelle: AFP