In Kasachstan ist vor dem Hintergrund der gewaltsamen Proteste der frühere Regierungschef und Ex-Leiter des Inlandsnachrichtendienstes, Karim Massimow, festgenommen worden. Der 56-Jährige werde des Landesverrats verdächtigt, teilte das nationale Sicherheitskomitee (KNB) am Samstag mit. Die Bundesregierung stoppte unterdessen ihre Rüstungsexporte nach Kasachstan. Die ehemalige Sowjetrepublik wird seit Tagen von beispiellosen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften erschüttert.
Proteste, die sich zunächst gegen steigende Gaspreise gerichtet hatten, weiteten sich zu regierungskritischen Protesten im ganzen Land aus. Staatschef Kassym-Jomart Tokajew erteilte den Sicherheitskräften am Freitag einen Schießbefehl auf Demonstranten und schloss Verhandlungen mit diesen aus.
Die Lage in dem zentralasiatischen Land war am Samstag weiterhin angespannt. In Kasachstans größter Stadt Almaty fielen gelegentlich Warnschüsse der Sicherheitskräfte, die die Menschen davon abhalten sollten, sich dem zentralen Platz der Stadt zu nähern, wie ein AFP-Reporter berichtete.
Massimow war vor wenigen Tagen als KNB-Leiter entlassen worden, nachdem Demonstranten in Almaty Regierungsgebäude gestürmt hatten. Am Donnerstag leitete der Inlandsnachrichtendienst nach eigenen Angaben eine Voruntersuchung wegen Landesverrats ein. Massimow und weitere Verdächtige seien inhaftiert worden. Der frühere KNB-Chef gilt als enger Verbündeter des autoritären Ex-Präsidenten Nursultan Nasarbajew.
Nasarbajew äußerte sich am Samstag zum ersten Mal seit Beginn der Unruhen öffentlich. Er rief die Bevölkerung auf, sich hinter Staatschef Tokajew zu stellen, “um die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen und die Integrität des Landes zu gewährleisten”, wie sein Sprecher Aidos Ukibai auf Twitter mitteilte.
Gerüchte, wonach der 81-Jährige das Land verlassen hat, wies Ukibai zurück. Nasarbajew halte sich in der Hauptstadt Nursultan auf und stehe in “direktem Kontakt” mit seinem Nachfolger Tokajew, erklärte der Sprecher.
Nasarbajew hat sich seit Beginn der Proteste vor knapp einer Woche nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt. Er hatte 2019 seinen Nachfolger Tokajew selbst bestimmt, soll aber nach wie vor hinter den Kulissen die Kontrolle haben. Die Wut in Kasachstan richtet sich auch gegen Nasarbajew, der das Land von 1989 bis 2019 mit harter Hand regierte.
Sein Nachfolger Tokajew beriet mit Russlands Präsident Wladimir Putin telefonisch “über Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung”, wie der Kreml am Samstag mitteilte. Der kasachische Präsident habe der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) und “insbesondere” Russland für seine Hilfe gedankt. Das von Russland angeführte Militärbündnis OVKS hatte am Donnerstag “Friedenstruppen” nach Kasachstan entsandt.
US-Außenminister Blinken hatte deshalb am Freitag gewarnt, dass es für Kasachstan jetzt schwierig sein werde, den russischen Einfluss zurückzudrängen. “Ich denke, eine Lehre aus der jüngsten Geschichte ist, dass es manchmal sehr schwierig ist, die Russen wieder loszuwerden, wenn sie erst einmal in deinem Haus sind”, sagte er.
Das russische Außenministerium kritisierte diese Äußerung am Samstag scharf. “US-Außenminister Antony Blinken hat versucht, einen lustigen Scherz über die tragischen Ereignisse in Kasachstan zu machen”, erklärte das Ministerium auf Facebook. “Ein rüpelhafter Versuch, aber auch nicht sein erster.”
In westlichen Staaten hat die Gewalt in Kasachstan Besorgnis ausgelöst. Die Bundesregierung untersagte angesichts der Lage die Ausfuhr von Rüstungsgütern in das Land. Nach Information der Nachrichtenagentur AFP vom Samstag wurde ein Exportstopp verhängt. Im vergangenen Jahr waren 25 Genehmigungen mit einem Gesamtwert von rund 2,2 Millionen Euro erteilt worden.
Nach kasachischen Regierungsangaben wurden bei den Auseinandersetzungen bislang 26 “bewaffnete Kriminelle” getötet und mehr als tausend weitere Demonstranten verletzt. Auf Seiten der Sicherheitskräfte gab es demnach 18 Tote und fast 750 Verletzte. Mehr als 3800 Demonstranten seien festgenommen worden. Die Angaben ließen sich zunächst nicht von unabhängiger Seite bestätigen.
Quelle: AFP