“Es wird noch einmal hart werden”, sagte der Direktor der Virologie an der Berliner Charité der “Süddeutschen Zeitung” (Freitagausgabe).
Umso wichtiger sei nun die Umsetzung der von der Politik ergriffenen Maßnahmen. Ob diese weiter verschärft werden müssen, ist nach Drostens Ansicht offen. “Wir müssen abwarten, ob und wie die jetzt geltenden und noch einmal nachgezogenen Maßnahmen wirken.” Wenn die Kontaktbeschränkungen doch “nicht so wirken wie erhofft, muss man schauen, ob man nicht 1G machen muss – und das G heißt dann geboostert”. Denn wer kürzlich geboostert sei, trage wahrscheinlich weniger zur Weiterverbreitung bei und sei zudem merklich gegen die Erkrankung geschützt. “Bei Delta mögen 2G und 3G reichen, aber jetzt schreibt Omikron die Regeln”, so der Virologe, der auch Mitglied im neu geschaffenen Expertenrat der Bundesregierung ist. Neuere Daten wecken die Hoffnung, dass Omikron zu weniger schweren Krankheitsverläufen führt als Delta. Die Datenlage sei aber noch unvollständig, betonte Drosten. Eine hohe Zahl von Infektionen könnte aber auch bei geringerer Krankheitslast nicht nur ein Problem für die Kliniken, sondern auch für die kritische Infrastruktur wie Polizei und Feuerwehr werden. Während in England die Zahlen durch Omikron bereits stark ansteigen, seien in Deutschland die immer noch geltenden Maßnahmen zu Kontakten und Masken hilfreich – und dass die Bevölkerung vorsichtig sei. Mit Sorge betrachtet Drosten die Entwicklung in China. Die dort eingesetzten Impfstoffe könnten gegen Omikron wenig ausrichten, sagte er. “Der Impfstoff, der dort verwendet wurde, hat eine schlechte Wirksamkeit gegen diese Variante. Das ist eine echte Gefahr, auch für die Weltwirtschaft.” Das Coronavirus habe ihn mit seiner Evolutionsfähigkeit “komplett überrascht”, sagte Drosten. “Der Fitnessgewinn der neuen Varianten ist enorm.” Auch ohne Omikron vorausahnen zu können, hätte die Politik das Land aber besser auf den Herbst vorbereiten müssen. Trotz einhelliger Warnungen aus der Wissenschaft sei das Thema im Wahlkampf verdrängt worden. Der verpasste Sommer habe ihn geärgert, so Drosten. Spätestens seit September sei klar gewesen, dass Boosterimpfungen nötig werden würden. “Schließlich stand damals fest, dass wir anders als andere Länder mit einer erheblichen Impflücke in den Winter gehen würden. Und die konnte man eben nur mit dem Notfallinstrument der Boosterung auffangen”, sagte Drosten. “Nur so bestand eine Chance, die Inzidenz im Griff zu behalten und die vielen Ungeimpften zu schützen. Bei uns wurde das aber nicht realisiert, weil die Politik mit dem Wahlkampf beschäftigt war.” Auch die Medien seien mitverantwortlich für die zum Teil schlechte Bewältigung der Coronakrise in Deutschland. Manche Medien hätten verharmlost. “So wurde über Monate einer breiten Bevölkerung suggeriert, dass das Problem viel kleiner ist, als es in Wirklichkeit ist. Dass die Sorge übertrieben ist, nicht real. Und das hat natürlich dazu beigetragen, dass das Vertrauen erodiert ist in die leider schmerzhaften politischen Maßnahmen, die man nun einmal ergreifen musste.” Dies habe auch zu der niedrigen Impfquote beigetragen, die für Deutschland in diesem Winter ein wirkliches Problem sei. Andere Länder wie Großbritannien seien hier viel weiter, für sie bedeute der kommende Sommer wohl den Anfang vom Ende der Pandemie. Trotz allem blickt der Virologe positiv in die Zukunft. Omikron werde wahrscheinlich die bisher letzte Variante des Coronavirus in der Pandemie sein: “Ich gehe davon aus, dass Omikron die Sars-CoV-2-Variante sein wird, die uns in die endemische Phase begleiten wird” – in jene Phase also, in der das Virus ein normaler Begleiter des Menschen geworden ist. In England werde es noch zwei Wellen bis zu diesem Zustand geben. “Einmal infizieren sich von Weihnachten bis Ostern noch einmal viele Menschen. Dann kommt ein entspannter Sommer”, sagte Drosten. Im Herbst werde es noch eine Nachdurchseuchung geben, die weitere Boosterimpfungen nötig mache. “Danach wird man sagen können: Die endemische Phase ist jetzt erreicht.” Ob das auch in Deutschland so sein werde, hänge vor allem von der Impfquote ab. Drosten sagte, er habe “ein mulmiges Gefühl” gehabt, als die Politik früh eine Impfpflicht ausschloss. Ob er selbst für eine allgemeine Impfpflicht eintrete, sagte er nicht. “Klar ist: Die Impfungen erleichtern und beschleunigen den Weg in die endemische Phase. Da wollen wir alle hin – ohne das tägliche, unnötige Sterben von vielen Menschen”, betonte er. Die Impflücken zu schließen habe deshalb höchste Priorität. Aber wie das gelinge, das bleibe Aufgabe der Politik und der Gesellschaft.
dts Nachrichtenagentur