Der Deutsche Ethikrat hat eine Ausweitung der gesetzlichen Corona-Impfpflicht auf größere Teile der Bevölkerung empfohlen – sofern sie von weiteren Maßnahmen begleitet wird. Die Ausweitung sei zu rechtfertigen, wenn sie “gravierende negative Folgen” künftiger Pandemiewellen abschwächen oder verhindern könne, heißt es in einer am Mittwoch vorgelegten Stellungnahme, die vom Ethikrat mit 20 Ja- und vier Nein-Stimmen verabschiedet wurde. Der Rat wies zugleich darauf hin, dass eine Impfpflicht immer eine “erhebliche Beeinträchtigung rechtlich und moralisch geschützter Güter” darstelle.
Negative Folgen, die eine Impfpflicht rechtfertigten, seien etwa “eine hohe Sterblichkeit, langfristige gesundheitliche Beeinträchtigungen signifikanter Teile der Bevölkerung oder ein drohender Kollaps des Gesundheitssystems”, heißt es in der Stellungnahme.
Eine Impfpflicht könne allerdings “kein Allheilmittel gegen die Pandemie sein, sondern nur als Teil einer umfassenden, evidenzbasierten, differenzierten und vorausschauenden Pandemie-Gesamtstrategie erwogen werden”. Flankiert werden müsse eine erweiterte Impfpflicht deshalb von weiteren Maßnahmen wie einer “flächendeckenden Infrastruktur mit sehr vielen niedrigschwelligen Impfangeboten und ausreichend Impfstoff”.
Bund und Länder hatten den Ethikrat Anfang Dezember gebeten, eine Stellungnahme zu den ethischen Aspekten einer ausgeweiteten Impfpflicht abzugeben. Bislang gibt es eine Corona-Impfpflicht nur für bestimmte Berufsgruppen etwa in der Pflege und im Gesundheitsbereich – Anfang 2022 soll der Bundestag aber über eine generelle Impfpflicht entscheiden.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßte die Stellungnahme des Ethikrats. Bei einer Abstimmung im Bundestag werde er für eine Impfpflicht stimmen, weil eine “Bewältigung immer neuer Wellen” aus seiner Sicht nicht möglich sei, sagte Lauterbach am in Berlin.
Positiv bewertete auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) die “sehr eindeutige” Empfehlung des Ethikrats. Er beklagte im ARD-“Morgenmagazin” zugleich ein Führungsdefizit der Bundesregierung bei diesem Thema. Seine Fraktion wundere es, “dass die Bundesregierung dazu keine eigenen Vorschläge macht”.
Tatsächlich ist die Impfpflicht innerhalb der Regierungsfraktionen umstritten. Die “Ampel” plant deswegen, ohne Fraktionszwang abstimmen zu lassen. Die Vorlagen sollen in sogenannten Gruppenanträgen ausgearbeitet werden.
Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) verteidigte das geplante Vorgehen. “Über eine Impfpflicht entscheidet man nicht leichtfertig, man sollte sie aber auch nicht einfach so mit oberflächlichen und vermeintlichen Freiheitsargumenten von vornherein ablehnen, wie es gerade von einigen Kollegen der FDP geplant ist”, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Während unter anderem aus den Landkreisen Forderungen nach einer raschen Einführung der allgemeinen Impfpflicht kamen, pochte die Stiftung Patientenschutz auf konkrete Szenarien für deren Umsetzung. “Die Impfpflicht ist ein brandheißes Eisen. Denn Deutschland hat nicht mal die Infrastruktur, in relativ kurzen Intervallen über 70 Millionen Menschen zu impfen”, erklärte Vorstand Eugen Brysch. Geklärt werden müsse auch, ob die Impfpflicht auch Booster-Impfungen umfasse.
Im Ethikrat gab es mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung einer erweiterten Impfpflicht unterschiedliche Auffassungen. Sieben Ratsmitglieder plädierten dafür, eine Ausweitung der Impfpflicht auf besonders gesundheitsgefährdete Erwachsene zu beschränken. 13 Ratsmitglieder befürworteten die Ausweitung auf alle in Deutschland lebenden impfbaren Erwachsenen.
Der Ethikrat rief die Regierung auf, bei der Umsetzung der Impfpflicht “bewusst darauf hinzuwirken, Frontstellungen zwischen geimpften und nicht geimpften Menschen zu vermeiden”. Die Durchsetzung der Impfpflicht unter Anwendung von körperlicher Gewalt müsse ausgeschlossen werden.
Ethikratsmitglied Wolfram Henn schlug zur Durchsetzung der Impfpflicht wiederholte Bußgelder “in sozialer Staffelung” vor. Es dürfe “nicht angehen, dass sich wohlhabende Impfgegner ‘freikaufen’ können”, sagte der Humangenetiker der “Saarbrücker Zeitung”. Die lange parteiübergreifende Absage an eine allgemeine Impfpflicht bezeichnete Henn als größten Fehler in der Pandemie-Politik “überhaupt”.
Der Deutsche Ethikrat berät über zentrale ethische Fragen und gibt regelmäßig Stellungnahmen ab. Dem Gremium gehören 26 Mitglieder an, die je zur Hälfte auf Vorschlag des Bundestags und der Bundesregierung berufen werden.
Quelle: AFP