Trotz des kalten Regens wird die Schlange vor dem Kiosk immer länger. Bayram Duman verkauft dort von der Stadt Istanbul subventioniertes Brot, das nur die Hälfte im Vergleich zum Brot in den normalen Bäckereien kostet. “Die Preise sind bei den Bäckern wahnsinnig angestiegen. Ständig kommen Leute”, berichtet der Mann in den 50ern, der an seinem Kiosk “Halk Ekmek” (“Volksbrot”) im Viertel Kartal kaum die Nachfrage decken kann.
Das von der Stadt Istanbul für die Einwohner angebotene “Volksbrot” gibt es schon seit 1978. Aber seit die Inflation in der Türkei in den vergangenen Monaten in die Höhe geschossen und die türkische Währung abgestürzt ist, drängen sich viel mehr Menschen als sonst vor den über die Stadt verteilten Kiosken. In der Hauptstadt Ankara, wo die Stadtverwaltung ebenfalls subventioniertes Brot zur Verfügung stellt, bietet sich dasselbe Bild.
Die beiden Metropolen werden von der Opposition regiert, die den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan für die hohe Inflation von – offiziell – über 21 Prozent im November verantwortlich macht. Nach Ansicht der Opposition und von Experten ist die wirkliche Inflation weitaus höher. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Sonnenblumenöl, Eier oder Butter haben sich in einem Jahr praktisch verdoppelt. Der Preis für Mehl ist nach Angaben der Bäckereigewerkschaft von April bis November um 85 Prozent explodiert – mit Preissteigerungen beim Brot als Folge.
Nach langem Warten im Regen gehen in Istanbul die meisten Menschen mit vier oder fünf Broten im Plastikbeutel nach Hause. Aus Scham oder Wut will keiner der Einkäufer darüber sprechen, warum er zu dem Kiosk gekommen ist. Das Gesicht verstecken die meisten unter ihren Kapuzen und hinter Regenschirmen.
Auch wenn der Preisunterschied zu den anderen Bäckereien nur wenige Cents in Euro ausmacht, so sind die Schlangen vor den vielen Kiosken jeden Tag unendlich lang – den ganzen Tag über. Das 250-Gramm-Brot kostet hier 1,25 türkische Lira (etwa sechs Cent in Euro), während es in den anderen Bäckereien 2,50 Lira und mehr kostet.
Angesichts der Inflation und des gleichzeitigen Verfalls der türkischen Lira im Vergleich zum Dollar und zum Euro wächst der Unmut über die Regierung in der Türkei. Vergangene Woche kündigte Erdogan eine Erhöhung des Mindestlohns um 50 Prozent ab 1. Januar an – von 2825,90 auf 4253,40 Lira, was dann ungefähr 213 Euro monatlich entspricht. Die Preissteigerungen und die Abwertung der Währung werden damit kaum aufgefangen.
Quelle: AFP