Nach dem vorzeitigen Abgang von Jens Weidmann als Bundesbankpräsident soll künftig der Volkswirt Joachim Nagel für Kontinuität an der Spitze der deutschen Zentralbank sorgen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gab die Personalie am Montag bekannt und verwies auf die Bedeutung einer “stabilitätsorientierten Geldpolitik” angesichts der zuletzt deutlich gestiegenen Inflation. Ökonomen begrüßten die Nominierung Nagels.
Nagel war bereits 17 Jahre lang bei der Bundesbank tätig, davon sechs Jahre im Vorstand. 2017 wechselte er dann zur staatlichen Förderbank KfW und 2020 zur Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die auch als “Zentralbank der Zentralbanken” gilt.
Nagel sei eine “erfahrene Persönlichkeit”, die die Kontinuität der Bundesbank sichere, erklärte Lindner. “Angesichts von Inflationsrisiken wächst die Bedeutung einer stabilitätsorientierten Geldpolitik”, fügte er hinzu.
Die Zentralbanken stehen derzeit vor dem Hintergrund der zuletzt deutlich gestiegenen Verbraucherpreise unter besonderer Beobachtung. Der Bundesbankpräsident sitzt mit im EZB-Rat, dem obersten Beschlussorgan der Europäischen Zentralbank (EZB), das aus den sechs Mitgliedern des EZB-Direktoriums und den Präsidenten der nationalen Zentralbanken der 19 Mitgliedstaaten des Euroraums besteht. Die Hauptaufgabe der EZB ist vor allem die Gewährleistung von Preisstabilität in der Eurozone.
Weidmann hatte als Bundesbankpräsident eine allzu lockere Geldpolitik der EZB immer wieder kritisiert und gemahnt, Inflationsrisiken nicht aus dem Blick zu verlieren. Im Oktober hatte Weidmann dann angekündigt, dass er zum Jahresende “aus persönlichen Gründen” den Chefposten vorzeitig verlässt. Eigentlich wäre sein Mandat bis 2027 gelaufen. Am Dienstagnachmittag erhält er im Schloss Bellevue in Berlin seine Entlassungsurkunde von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Auch Nagel sei “bislang für einen stabilitätsorientierten Kurs in der Geldpolitik eingetreten”, erklärte der Konjunkturchef und Vizepräsident des IfW Kiel, Stefan Kooths. “Behält er das bei, wird er auch im Rat der Europäischen Zentralbank zu jenen gehören, die Gegenargumente zur gegenwärtig ultra-expansiven Geldpolitik vorbringen, und wird auch entsprechend in die Öffentlichkeit wirken.”
“Gerade jenen, die für eine lockerere Geldpolitik eintreten, sollte es entgegenkommen, wenn ein Bundesbankchef geldpolitisch als so genannter Falke auftritt”, fügte Kooths hinzu. “Denn er dämpft damit Erwartungen, dass die Inflation mittelfristig über das Ziel hinausschießt. Und je länger die Erwartungen stabil bleiben, desto länger kann die EZB ihre derzeitige Politik durchhalten.”
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Marcel Fratzscher, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, Nagel sei “ein sehr guter Ökonom und ein kluger Kopf, der Deutschland hervorragend repräsentieren und seine Stimme in die EZB einbringen wird”.
Bankenpräsident Christian Sewing, zugleich Chef der Deutschen Bank, bezeichnete Nagel als Experten “mit langjähriger Notenbankerfahrung und ausgezeichneter Kenntnis der Finanzmärkte”. Seine Ernennung passe zur Rolle Deutschlands als “Stabilitätsanker in Europa”, wie sie die Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgehalten habe.
Der frühere Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret nannte Nagel einen exzellenten Nachfolger für Weidmann. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Lindner hätten mit ihm eine “gute Wahl getroffen”, sagte er dem Nachrichtenportal t-online. Nagel sei ein Fachmann, der innerhalb der Bundesbank hoch angesehen sei. “Er ist erfahren, gut vernetzt und kann sofort anfangen”, sagte Dombret. “Das ist gut für die Bundesbank und gut für Deutschland.”
Bestätigt werden muss die Personalie nun noch vom Bundeskabinett. Ob dies noch am Mittwoch vor der letzten Sitzung vor Weihnachten passieren sollte, war am Montag zunächst unklar.
Laut “Handelsblatt”, das am Montag unter Berufung auf Regierungskreise zuerst darüber berichtet hatte, dass Kanzler Scholz den 55-Jährigen für den Posten als Weidmann-Nachfolger vorgeschlagen habe, erfolgte die Personalie im Einvernehmen mit Finanzminister und FDP-Chef Lindner. In der FDP gelte Nagel als “stabilitätsorientierter Sozialdemokrat”; die Zustimmung gelte damit als sicher.
Quelle: AFP