Ungarns Verfassungsgericht vermeidet offenen Konflikt mit Brüssel

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Ungarns Verfassungsgericht hat einen offenen Konflikt mit der EU-Kommission und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vermieden. Die Budapester Richter erklärten sich am Freitag nicht dafür zuständig, ein EuGH-Urteil gegen Ungarns umstrittene Asylpolitik “in Frage zu stellen oder den Vorrang von EU-Recht zu prüfen”. Die rechtsnationalistische Regierung von Viktor Orban wollte das Urteil anfechten, was als Versuch gewertet wurde, den Vorrang von EU-Recht vor nationalem Recht zu kippen.

Der EuGH hatte Ungarn im Dezember 2020 auf eine Klage der EU-Kommission hin wegen des Verstoßes seiner Asylregeln gegen EU-Recht verurteilt. Die Richter bescheinigten Budapest die “rechtswidrige Inhaftierung” von Migranten in Lagern an der Grenze zu Serbien und die Abschiebung von Flüchtlingen ohne Beachtung der geltenden Garantien. In der Folge stellte die EU-Grenzschutzagentur Frontex ihre Arbeit in Ungarn ein.

Orbans Regierung legte das Urteil dem ungarischen Verfassungsgericht zur Prüfung vor. Ähnlich war auch Polen nach einer Verurteilung durch den EuGH wegen seiner umstrittenen Justizreformen verfahren. Allerdings hatte das polnische Oberste Gericht daraufhin den Grundsatz des Vorrangs von EU-Recht vor nationalem Recht offen in Frage gestellt hatte.

Allerdings führte ungarische Verfassungsgericht in seinem Urteil aus, dass Budapest in den zwischen Brüssel und Ungarn geteilten Kompetenzbereichen seine Autorität so lange ausüben kann, “bis die EU-Institutionen wirksame Maßnahmen ergreifen”. Auch hätten Behörden zur Durchsetzung von Gesetzen, insbesondere Verfassungsgerichte und Gerichte, durchaus das Recht, Umfang und Grenzen der EU-Zuständigkeiten zu prüfen.

“Anders als sein polnisches Pendant hat sich das ungarische Verfassungsgericht heute geweigert, in einen offenen Konflikt mit der EU einzutreten”, sagte Petra Bard von der Zentraleuropäischen Universität in Budapest. “Die Entscheidung überträgt stattdessen der Regierung die Verantwortung, sich EU-Recht zu widersetzen, wenn sie das möchte”.

Mit seinen Ausführungen zu geteilten Kompetenzbereichen biete das Urteil der Regierung “viel Munition, um ihre illegalen Praktiken fortzusetzen”, sagte Bart. Nun könne Budapest Inaktivität Brüssels oder die Ineffektivität von EU-Gesetzen anführen, um etwa in Migrationsfragen eigene Wege zu gehen. Denn zugleich habe das Gericht versäumt “klarzustellen, dass die nationale Gesetzgebung bei der Ausübung dieser Kompetenzen nicht im Widerspruch zum EU-Recht stehen darf”.

Ungarns Justizministerin Judit Varga sprach von einem richtungsweisenden Urteil zugunsten ihrer Regierung. Um die Grenzen wirksam zu schützen, habe Ungarn das Recht, “seine nationalen Vorschriften an die Realität anzupassen”, erklärte sie auf Facebook. Orbans Stabschef Gergely Gulyas sagte, das Gerichtsurteil untermauere alle bisherigen migrationspolitischen Entscheidungen der Regierung und mache den Weg für deren vollständige Umsetzung frei.

Das Helsinki-Komitee zur Verteidigung der Menschenrechte folgte dieser Interpretation nicht. “Das Verfassungsgericht hat der Regierung nicht das gegeben, was sie wollte”, erklärte die Organisation. Die Situation sei “klar”: Das Urteil des EuGH müsse umgesetzt werden, “und die unmenschliche Behandlung von Asylsuchenden muss aufhören”.

EU-Justizkommissar Didier Reynders hatte bei einem Besuch in Budapest im November die Klage Budapests als “inakzeptabel” bezeichnet. Die EU-Kommission will nun die Entscheidung des Verfassungsgerichts “im Detail analysieren”, sagte ein Sprecher auf Anfrage in Brüssel. Die Entscheidung verstoße aber nicht gegen die Grundsätze des Vorrangs des europäischen Rechts.

Quelle: AFP

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