Knapp zwei Monate nach seinem Rücktritt als österreichischer Bundeskanzler hat Sebastian Kurz am Donnerstag seinen vollständigen Rückzug aus der Politik verkündet. Er werde seine Ämter als Vorsitzender der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und als Fraktionschef am Freitag abgeben, sagte der 35-Jährige in Wien. Sein Nachfolger als Regierungschef, Alexander Schallenberg, erklärte daraufhin, er wolle ebenfalls sein Amt zur Verfügung stellen, damit der nächste ÖVP-Chef auch zugleich wieder die Regierung führe.
Er nehme “Abschied aus der Politik”, sagte Kurz und begründete dies mit den gegen ihn laufenden Korruptionsermittlungen: Wegen der “Abwehr von Vorwürfen, Unterstellungen und Verfahren” sei seine “Leidenschaft für Politik” zuletzt “weniger geworden”. Er freue sich aber auf den Tag, an dem er vor Gericht “beweisen kann, dass die Vorwürfe gegen meine Person schlicht und ergreifend falsch sind”.
Kurz war am 9. Oktober nach Vorwürfen der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit als Regierungschef zurückgetreten und als ÖVP-Fraktionsvorsitzender in den Nationalrat gewechselt. Mitte November hob das Parlament seine Immunität auf und machte den Weg für weitere Ermittlungen frei. Kurz’ Team soll dessen Aufstieg seit 2016 durch geschönte Umfragen und gekaufte Medienberichte befördert haben. Im Gegenzug sollen hohe Summen, darunter auch Steuergelder, für Anzeigen geflossen sein.
Nach Kurz’ Rücktritt übernahm der bisherige Außenminister Schallenberg die Regierungsgeschäfte. Es sei aber nie seine Absicht gewesen, “die Funktion des Bundesparteiobmanns (Parteivorsitzenden) der Neuen Volkspartei zu übernehmen”, erklärte Schallenberg am Donnerstagabend. Weil er der “festen Ansicht” sei, dass der Vorsitzende der stärksten Partei Österreichs auch Kanzler sein sollte, wolle er zurücktreten.
Als neuer ÖVP-Chef – und somit auch als möglicher Bundeskanzler – ist nach Angaben der österreichischen Nachrichtenagentur APA der derzeitige Innenminister Karl Nehammer im Gespräch.
Außerdem werden weitere Kabinettsumbildungen nötig sein: Finanzminister Gernot Blümel kündigte am Donnerstagabend ebenfalls seinen Rückzug aus der Politik an. In einer Videobotschaft verwies er unter anderem auf Morddrohungen gegen seine Familie. Hinzu sei nun der Rückzug von Kurz gekommen. Blümel gilt als enger Vertrauter des Ex-Kanzlers.
Kurz nannte als weiteren Grund für seinen Abschied aus der Politik die Geburt seines Sohnes Konstantin am vergangenen Samstag. Da sei ihm “bewusst geworden, wie viel Schönes und Wichtiges es auch außerhalb der Politik gibt.” Er freue sich, “Zeit mit meinem Kind und meiner Familie zu verbringen, bevor ich mich im neuen Jahr neuen Aufgaben widmen werde”. Nähere Angaben zu seiner künftigen Tätigkeit machte er nicht.
Kurz war vom Dezember 2017 bis Mai 2019 und erneut vom Januar 2020 bis Oktober 2021 Kanzler Österreichs. Die Ibiza-Affäre 2019 schadete vor allem seinem damaligen rechtspopulistischen Koalitionspartner FPÖ. Angesichts der Anfang Oktober eingeleiteten Ermittlungen in der sogenannten Inserateaffäre erklärte der neue Koalitionspartner, die Grünen, ihn jedoch für “nicht mehr amtsfähig”.
Die politische Karriere von Kurz verlief wie im Zeitraffer: Geboren am 27. August 1986 als Sohn einer Lehrerin und eines Ingenieurs in Wien, schloss er sich als Schüler der Jungen ÖVP an und wurde 2009 ihr Bundesvorsitzender. Mit 24 Jahren wurde der dezidiert konservative Politiker Staatssekretär und gab sein Jurastudium auf, um in die Politik zu gehen.
Mit 27 Jahren übernahm Kurz im März 2014 ohne jede außenpolitische Erfahrung das Außenministerium. In der Flüchtlingskrise gab er sich als Hardliner, kritisierte die deutsche Willkommenskultur, setzte in Österreich eine Obergrenze für Flüchtlinge und schließlich die Schließung der Balkanroute durch.
2017 übernahm er die Führung der konservativen ÖVP und führte als Parteichef den Bruch der großen Koalition mit der SPÖ herbei. Mit der “Liste Kurz” gewann er die Wahl und wurde im Dezember 2017 mit 31 Jahren jüngster Regierungschef in Europa.
Quelle: AFP