Bundesgerichtshof verhandelt über letzten Angeklagten in NSU-Komplex

Copyright AFP/Archiv INA FASSBENDER

Dreieinhalb Jahre nach dem Urteil des Münchner Oberlandesgerichts zur rechtsextremen Zelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) befasst sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit André E., dem einzigen noch nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten. Am Donnerstag verhandelte der dritte Strafsenat in Karlsruhe über seine Revision und die der Bundesanwaltschaft. E. war in München zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden, von der Beihilfe zum versuchten Mord sprach ihn das Oberlandesgericht aber frei. (Az. 3 StR 441/20)

Der NSU beging zehn Morde, außerdem Sprengstoffanschläge und Raubüberfälle. In Karlsruhe ging es vor allem um die Frage, wann André E. was wusste. Der BGH wertet aber nicht selbst Beweise aus, sondern überprüft die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts.

Fest steht, dass E. ein Freund der Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe war und diesen bei verschiedenen Gelegenheiten half. Das Münchner Gericht war allerdings nicht zweifelsfrei überzeugt davon, dass er damals schon von ihren Taten wusste.

Der offen überzeugte Neonazi E. hatte sich 1998 mit den NSU-Mitgliedern angefreundet, die damals in den Untergrund gingen. In den Jahren 2000 und 2003 mietete E. insgesamt drei Wohnmobile, mit denen Böhnhardt und Mundlos zu zwei Raubüberfällen und einem Sprengstoffanschlag fuhren.

Laut Oberlandesgericht ist nicht nachgewiesen, dass er damals schon damit rechnete, das Trio könnte Raubüberfälle oder Anschläge begehen. Das soll sich im August 2006 geändert haben, als der Kontakt intensiver wurde. Seitdem soll E. damit gerechnet haben können, dass die drei zumindest Raubüberfälle begingen.

Ende 2006 dann spitzte sich die Lage zu: In einer Nachbarwohnung gab es einen Wasserschaden mit möglichem Diebstahl, weswegen Zschäpe als Zeugin befragt werden sollte. Sie gab sich als E.s Frau aus, was dieser im Januar 2007 bei der Polizei bestätigte. Er lieh ihr auch den Personalausweis seiner tatsächlichen Ehefrau, Zschäpes bester Freundin.

Danach, so vermutete es das Oberlandesgericht, erzählte das Trio E. von seinen Taten. 2009 schließlich besorgte E. Böhnhardt und Zschäpe Bahncards auf seinen Namen und den Namen seiner Frau und ließ das Abo zwei weitere Jahre laufen.

In Karlsruhe bezweifelte der Vertreter der Bundesanwaltschaft, dass das Münchner Gericht sein Urteil zu den Teilfreisprüchen plausibel begründet habe. Er führte an, wie lange sich der Angeklagte und das NSU-Trio bereits kannten. Die Erörterung, dass E. erst ab August 2006 mit Raubüberfällen rechnen konnte, hielt er für nicht nachvollziehbar.

E. sei erhebliche Risiken eingegangen. Dass er dies “ohne Vorstellung eines von ihm gebilligten Zwecks” getan habe, liege “derart fern”, dass das Oberlandesgericht es nicht ohne weiteres habe unterstellen dürfen, sagte der Bundesanwalt. Er beantragte, das Urteil zur neuerlichen Verhandlung an einen anderen Strafsenat in München zurück zu verweisen.

E.s Verteidiger plädierte für einen Freispruch seines Mandanten. Eine Bahncard sei – anders als von der Bundesanwaltschaft formuliert – kein “Behelfsidentitätsnachweis”, sagte er. Das Besorgen dieser Rabattkarte sei keine Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

Zudem argumentierte er, dass E. gar keine Zeit gehabt habe, sich ausführlich um den NSU zu kümmern. Befreundet gewesen seien vor allem die beiden Frauen und die Kinder der Familie E., sagte der Anwalt.

Auch eine Vertreterin der Nebenklage reiste nach Karlsruhe. Rechtsanwältin Edith Lunnebach vertritt eine bei einem Sprengstoffanschlag des NSU in Köln 2001 schwer verletzte Frau.

Nach der Verhandlung sagte sie, ihre Mandantin empfinde es als ungerecht, dass ausgerechnet E., “dessen Ideologie so nach außen deutlich wird”, so gut weggekommen sei. Der BGH kündigte eine Entscheidung für den 15. Dezember an.

Quelle: AFP

Bundesgerichtshof verhandelt über …

Aktuelle Beiträge

Exklusiv Interviews

Melden Sie sich für unseren Newsletter an

Ihre E-Mail-Adresse wird nur für Werbe-E-Mails und kritische Nachrichtenankündigungen verwendet.