Nach dem Flüchtlingsdrama im Ärmelkanal mit 27 Toten haben Vertreter mehrerer EU-Staaten und der EU-Kommission am Sonntag im nordfranzösischen Calais über eine Verschärfung des Kampfes gegen Schlepperbanden beraten. Die britische Innenministerin Priti Patel war wieder ausgeladen worden. Der britische Gesundheitsminister Sajid Javid bekräftigte im Vorfeld im Sender Sky News jedoch Londons Forderung nach gemeinsamen Polizeipatrouillen entlang der nordfranzösischen Küste und einer Rücknahme der Bootsflüchtlinge durch Frankreich.
“Wir können nicht akzeptieren, dass weitere Menschen sterben”, sagte der französische Innenminister Gérald Darmanin zu Beginn des Treffens mit Regierungsvertretern aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Aus Berlin reiste der parlamentarische Staatssekretär Stephan Mayer an. Auch EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sowie Europol-Direktorin Catherine De Bolle und der Chef der EU-Grenzschutzbehörde Frontex waren an den Beratungen im Rathaus der Hafenstadt Calais beteiligt.
Die britische Innenministerin Patel fehlte bei dem Treffen. Sie war von Darmanin wieder ausgeladen worden, nachdem ein Brief des britischen Premierministers Boris Johnson am Freitag einen diplomatischen Eklat zwischen Paris und London ausgelöst hatte. Paris war empört nicht nur über die Forderungen der britischen Seite, alle Migranten wieder nach Frankreich zurückzubringen, sondern auch darüber, dass Johnson den Brief an Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf Twitter veröffentlicht hatte.
Der wichtigste Tagesordnungspunkt sei “der Kampf gegen die Schlepper, die unsere Grenzen und unser Land zum Besten halten”, sagte Darmanin. “Das Problem ist europäisch und britisch.” In seinem Umfeld hieß es zuvor, es gehe um eine Stärkung der Zusammenarbeit gegen die Schleuser, da es sich um internationale Netzwerke handele, die in verschiedenen europäischen Ländern aktiv seien.
Der britische Gesundheitsminister Javid sagte im Sender Sky News, das Ziel Londons sei “sehr klar”: Über den Ärmelkanal dürften keine Flüchtlingsboote mehr nach Großbritannien übersetzen. “Das können wir nicht allein schaffen. Wir brauchen die Kooperation der Franzosen”, betonte er. “Wir alle müssen tun, was wir können, um das Geschäftsmodell dieser Menschenschmuggler zu zerstören.”
Patel kündigte im Onlinedienst Twitter an, sie werde in der kommenden Woche Gespräche mit ihren europäischen Kollegen führen, “um weitere Tragödien im Ärmelkanal zu verhindern”.
In einem Beitrag für die britische Zeitung “Sun on Sunday” betonte Patel die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens und einer härteren britischen Gesetzgebung. Johnson und sie stünden “jederzeit bereit, um Vorschläge mit unseren französischen Kollegen zu diskutieren”.
Französische Hilfsorganisationen forderten derweil entschiedene Maßnahmen zur Schaffung legaler Migrationswege. “Wenn die Regierung Menschenschmuggler (für riskante Fluchtwege) verantwortlich macht, verschleiert sie damit ihre eigene Verantwortung”, sagte der Vorsitzende der Organisation “L’Auberge des migrants”, François Guennoc. “Wenn es legale Wege nach Großbritannien gäbe, gäbe es keine Menschenschmuggler.”
“Ich befürchte, dass die Antwort einzig und allein repressiv und sicherheitsbezogen sein wird”, sagte Juliette Delaplace von der örtlichen katholischen Flüchtlingshilfe. Sie erwarte, dass die Politik “erneut die Schlepper verantwortlich” mache, obwohl es die Politik sei, “welche die Schleusernetzwerke” befördere. Papst Franziskus bekundete am Sonntag seinen “Schmerz” über den Tod der 27 Migranten im Ärmelkanal.
Als unangemessen prangerte die Opposition in Großbritannien den Streit zwischen Paris und London an. “Beide Länder verlieren sich in gegenseitigen Schuldzuweisungen, während in unserem Kanal Kinder sterben”, sagte die außenpolitische Sprecherin der Labour-Partei, Lisa Nandy.
Der stellvertretende EU-Kommissionspräsident Margaritis Schinas sagte am Samstag, es sei Aufgabe Großbritanniens, die Probleme im Zusammenhang mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen zu lösen. Großbritannien habe “die Europäische Union verlassen”, folglich müsse es “jetzt entscheiden, wie die Kontrolle seiner Grenzen organisiert wird”.
Quelle: AFP