Die Fachleute der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina sprechen sich angesichts der sich weiter verschärfenden Pandemielage für Kontaktbeschränkungen von Beginn der kommenden Woche aus. Die rasante Ausbreitung der Corona-Ansteckungen mache “ein sofortiges Gegensteuern dringend erforderlich”, heißt es in einer am Samstag von der Leopoldina vorgelegten Stellungnahme. Die Zeit der Kontaktbeschränkungen müsse “für eine massive Erstimpfungskampagne und Auffrischungsimpfungen genutzt” werden. Zudem plädiert die Akademie für die Einführung einer stufenweisen Impfpflicht.
“Unmittelbar wirksam ist es aus medizinischer und epidemiologischer Sicht, die Kontakte von Beginn der kommenden Woche an für wenige Wochen deutlich zu reduzieren”, heißt es in der Vorlage. Diese Maßnahmen müssten “vorübergehend auch für Geimpfte und Genesene gelten, die in dieser Zeit eine Auffrischungsimpfung erhalten müssen”.
Die Kontaktbeschränkungen müssen im privaten Bereich gelten, in Innenräumen und in Situationen, “in denen viele Menschen zusammenkommen – etwa in Bars, Clubs und bei Veranstaltungen. Wo sich persönliche Kontakte nicht vermeiden ließen, sei eine “generelle Maskenpflicht – idealerweise mit FFP2-Masken – sowie eine konsequente Durchsetzung der 2G-Regeln und Anwendung der AHA+L-Regeln unvermeidlich”. AHA+L steht für Abstand halten, Hygieneregeln beachten, im Alltag Maske tragen und Lüften.
Ein solches Vorgehen würde “bei stringenter Umsetzung den exponentiellen Anstieg der Neuinfektionen in der vierten Welle beenden und somit auch der Überlastung des Gesundheitssystems entgegenwirken”, schreiben die Expertinnen und Experten.
Als eine etwas mildere Option schlägt die Leopoldina eine “strikte, kontrollierte und sanktionierte 2G-Regelung” ohne Kontaktbeschränkungen vor – dies wäre aber “weniger effektiv”, heißt es in der Stellungnahme. Bei dieser Option müsse “mit einem längeren Verlauf der vierten Welle und einer erhöhten Zahl von Todesopfern gerechnet werden”.
Um die Impfquote zu steigern, müssten “Ungeimpfte motiviert oder in die Pflicht genommen werden”, schreibt die Leopoldina weiter. Dazu zähle “die rasche Einführung einer berufsbezogenen Impfpflicht für Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und medizinische Fachberufe sowie weiterer Multiplikatorengruppen”, heißt es in der Stellungnahme. Darüber hinaus müssten Vorbereitungen zur “Einführung einer allgemeinen Impfpflicht unter Berücksichtigung der dafür erforderlichen rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen” getroffen werden.
Die Autorinnen und Autoren der Stellungnahme geben ihrer großen Besorgnis angesichts der aktuellen Lage Ausdruck: “Es ist zu befürchten, dass Teile der Politik und Öffentlichkeit die Dramatik der Situation nicht in ihrem vollen Ausmaß erfassen”, schreiben sie. “Dazu tragen die Vielstimmigkeit der öffentlich vorgebrachten Einschätzungen von Fakten und Prognosen, ein gewisser Gewöhnungseffekt und wohl auch das für viele ‘bloß’ statistische ‘Angesicht’ der Todesopfer und der Langzeitgeschädigten von Covid-19 bei.”
Die Leopoldina in Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt ist eine naturwissenschaftlich-medizinische Akademie mit mehr als 350 Jahre alter Tradition. Als Nationale Akademie der Wissenschaften hat sie die Aufgabe, in voller Unabhängigkeit drängende Zukunftsfragen wie Umwelt und Energie wissenschaftlich zu bearbeiten und sowohl die Politik als auch die Gesellschaft zu beraten.
Quelle: AFP