Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja hat die EU zu einem entschlosseneren Handeln gegen Machthaber Alexander Lukaschenko aufgefordert. “Wir brauchen ein aktiveres Vorgehen Europas, wenn es um Autokratie geht”, sagte Tichanowskaja am Mittwoch im EU-Parlament. Sie forderte die EU auf, Lukaschenkos Führung weiterhin nicht anzuerkennen und keine belarussischen Botschafter zu empfangen. Angesichts der Krise an der belarussisch-polnischen Grenze empfängt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki.
In ihrer Rede vor dem Parlament begrüßte Tichanowskaja die von der EU verhängten Sanktionen gegen das Umfeld Lukaschenkos. “Lassen Sie mich Ihnen versichern: Sanktionen funktionieren. Bleiben Sie dabei, eine konsequente Sanktionspolitik zu verfolgen”, sagte die im Exil lebende Oppositionsführerin. “Sanktionen spalten die Eliten, zerstören Korruptionspläne und spalten die Menschen um Lukaschenko.” Die EU müsse ihre Sanktionen jedoch besser mit den USA und Großbritannien koordinieren.
Tichanowskaja forderte zudem mehr Unterstützung für die Opposition in Belarus, unter anderem für Medien und Menschenrechtler. “Menschen müssen das Gefühl haben, nicht im Stich gelassen zu werden”, sagte sie. Stellungnahmen, in denen die Europäische Union ihre “tiefe Besorgnis” äußere, reichten nicht aus.
“Wir bekräftigen heute, dass die Werte der Union nicht käuflich sind”, erklärte EU-Parlamentspräsident David Sassoli. Das Parlament fordere die anderen Institutionen dazu auf, “sich für die Verteidigung der Grundrechte einzusetzen”. “Der mutige Kampf der Opposition darf durch das inakzeptable Handeln Lukaschenkos an der Grenze zu Polen nicht in den Hintergrund treten”, erklärte der CDU-Abgeordnete Michael Gahler.
Tichanowskaja hatte die EU-Regierungen bereits Anfang der Woche aufgerufen, “von jeglichen Kontakten” mit Lukaschenko abzusehen. Sie kritisierte auch die Telefonate, die Bundeskanzlerin Merkel in der vergangenen Woche wegen der Flüchtlingskrise mit Lukaschenko führte.
Am Donnerstag empfängt Merkel Polens Regierungschef Morawiecki in Berlin. Dabei solle über die Situation im Grenzgebiet gesprochen werden, kündigte Regierungssprecher Steffen Seibert an. Polen sei “in extremer Weise herausgefordert”, weil “das belarussische Regime Migrantinnen und Migranten, Menschen als Mittel benutzt, um Polen und die EU insgesamt herauszufordern”. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bekräftigte seine “Solidarität” mit Polen angesichts der “Destabilisierung”, die es an seiner Grenze erleide.
Derweil reisten mehrere EU-Vertreter für “technische Gespräche” über die Rückführung von Migranten aus dem polnisch-belarussischen Grenzgebiet nach Minsk. Das Treffen “hat nichts mit einer Anerkennung des Regimes zu tun und hat nichts mit Verhandlungen zu tun”, betonte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Eine Abordnung des Europäischen Auswärtigen Dienstes soll demnach mit Minsk darüber beraten, wie die Rückführungen erleichtert werden können.
Die EU wirft der Regierung von Lukaschenko vor, Migranten absichtlich ins Land zu holen, um sie über die Grenze in die EU zu schicken. Brüssel zufolge will der belarussische Machthaber damit Rache für EU-Sanktionen üben. Der Staatschef weist die Vorwürfe zurück.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) beklagte “schwere Menschenrechtsverstöße” auf beiden Seiten der Grenze. Belarussische Soldaten könnten sich demnach der Folter von Migranten schuldig gemacht haben. “Gewalt, unmenschliche und erniedrigende Behandlung und Nötigung” durch die Grenzsoldaten sei “an der Tagesordnung” – in einigen Fällen könne man von “Folter” sprechen.
Die deutsche Bundespolizei erklärte unterdessen, sie habe im Monat November bis Dienstag 2480 unerlaubte Einreisen mit einem Bezug zu Belarus registriert, insbesondere an der Grenze zu Polen. Im laufenden Jahr seien insgesamt 10.321 illegale Einreisen mit Bezug zu Belarus festgestellt worden.
Quelle: AFP