Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) wird zum ersten Mal von einer weiblichen Doppelspitze geführt. Die EKD-Synode und die in der sogenannten Kirchenkonferenz zusammengeschlossenen Kirchenleitungen der 20 Landeskirchen wählten am Mittwoch die Präsens der westfälischen Landeskirche, Annette Kurschus, für sechs Jahre zur neuen EKD-Ratsvorsitzenden. Zugleich wählten sie die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs zur Stellvertreterin.
Kurschus trat damit die Nachfolge von Heinrich Bedford-Strohm an, der seit 2014 als oberster Repräsentant der 20,2 Millionen evangelischen Christen in Deutschen fungierte. Der bayerische Landesbischof hatte nicht erneut kandidiert. Kurschus ist zugleich die zweite Frau an der Spitze der EKD nach Margot Käßmann, die 2009 und 2010 einige Monate lang amtierte.
Kurschus sprach nach ihrer wegen der Corona-Pandemie digital erfolgten Wahl von einer Aufgabe, die “Auftrag und Ansporn zugleich” sei. Die Erwartungen an die Kirche seien “zu Recht groß”. Diese stehe für Hoffnung und habe damit “einen großen und kostbaren Auftrag” in einer “Welt, die aus vielen Wunden blutet”.
Die 58-Jährige kündigte an, in ihrer Amtszeit unter anderem beim Thema Klimaschutz, bei der Aufarbeitung von Missbrauchsskandalen innerhalb der Kirche und bei der Aufmerksamkeit für abgehängte “vermeintliche Ränder” der Gesellschaft “starke Akzente” setzen zu wollen. So sei das von Gott geschenkte Leben auf der Erde “gefährdet wie nie”. Es für künftige Generationen zu bewahren, sei “gegenwärtig eine unserer vornehmsten Aufgaben”, sagte sie.
“Wenn wir hier konsequent bleiben wollen, wirklich konsequent, dann wird uns das einiges kosten, ganz buchstäblich und auch im übertragenen Sinne des Worts”, sagte Kurschus. Zugleich kündigte sie an, die Missbrauchsaufarbeitung und die Erarbeitung von wirksamen Präventionsstrukturen zur “Chefinnensache” zu machen.
Parallel forderte Kurschus einen humanen Umgang mit Flüchtlingen an der EU-Außengrenzen. “Wir haben alles dafür zu tun, dass die Menschenwürde hochgehalten wird”, sagte sie nach ihrer Wahl vor Journalisten. Die Menschen dort müssten Zugang zu “geregelten Verfahren” haben und “auf humane Weise” behandelt werden, fügte sie auch mit Blick auf die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze an. Dieses Thema werde ein Schwerpunkt der Kirche bleiben.
Die oder der Vorsitzende wird während der mehrtägigen EKD-Synode aus dem Kreis des 15-köpfigen EKD-Rats gewählt, der traditionell einen Tag zuvor neu bestimmt wird. Kurschus und Fehrs wurden vom Rat selbst als Kandidatinnen vorgeschlagen, sie erhielten beide die erforderlichen Zweitdrittelmehrheiten. Die Synode ist das Kirchenparlament der evangelischen Kirche. Bei den Ratswahlen sind zudem die Leitungen der 20 Landeskirchen stimmberechtigt.
Die katholische Deutsche Bischofskonferenz begrüßte die Wahl als positives Zeichen für die Ökumene. Er sei zuversichtlich, dass die Kirchen ihren gemeinsamenökumenischen Weg” mit Kurschus “in guter und engagierter Weise fortsetzen werden”, schrieb der Vorsitzende, Bischof Georg Bätzing, in einem Gratulationsbrief.
Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland begrüßte die Wahl von Kurschus. Sie übernehme ihr Amt in einer Zeit, in der die Religionsgemeinschaften angesichts einer wachsenden Spaltung der Gesellschaft und den Folgen der Coronakrise “eng zusammenstehen” und gemeinsam “befriedend in die Gesellschaft hineinwirken” müssten, erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster in Berlin.
In ihrer Antrittsrede direkt nach ihrer Wahl dankte Kurschus ihrem Vorgänger Bedford-Strohm. Er habe eine “starke Spur” voll Kraft und Hoffnung gelegt. Schwerpunkte in dessen Amtszeit waren unter anderem die Flüchtlingskrise, in der sich die evangelische Kirche oftmals deutlich positionierte, sowie der Umgang mit den Missbrauchsskandalen. Generell kämpft die evangelische Kirche außerdem mit einem langfristigen dramatischen Mitgliederschwund.
Die EKD-Synode war als Präsenzveranstaltung in Bremen geplant, wurde wegen der aktuellen Coronalage allerdings zur digitalen Veranstaltung umfunktioniert. Nur die Synodenleitung und der Rat versammelten sich in Bremen. Die Synode begann am Sonntag. Sie beriet bereits über zahlreiche Themen, etwa zum Thema Missbrauch.
Quelle: AFP