Im Konflikt um die umstrittenen polnischen Justizreformen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) Warschau angewiesen, der EU-Kommission täglich eine Million Euro Zwangsgeld zu zahlen. Polen habe die EuGH-Entscheidung zur Disziplinarkammer für Richter nicht umgesetzt, begründete das Gericht in Luxemburg am Mittwoch seinen Beschluss. Dies sei aber notwendig, um ernsthaften und irreparablen Schaden von den europäischen Werten, vor allem der Rechtsstaatlichkeit, abzuwenden. (Az. C-204/21)
Die polnische Regierung kritisierte die Gerichtsentscheidung. “Der Weg der Sanktionen und Erpressungen gegen unser Land ist nicht der richtige”, erklärte Regierungssprecher Piotr Müller auf Twitter. Dies sei nicht das Modell, nach dem die EU als “Union souveräner Staaten” funktionieren sollte.
Die EU-Kommission und Polen streiten seit langem über die Einhaltung der verbindlichen rechtsstaatlichen Grundsätze. Polen wird deren Missachtung vorgeworfen, seit die nationalkonservative Regierung den Umbau des polnischen Justizwesens begann.
Befürchtet wird, dass die Unabhängigkeit der Justiz von der Politik nicht mehr gewährleistet ist. Kern der Reform ist die Disziplinarkammer, die Richter bestrafen und entlassen kann und deren Mitglieder vom politisch kontrollierten Landesjustizrat ernannt werden.
Vor allem darum ging es auch in der aktuellen EuGH-Entscheidung. Bereits im Juli erklärte der EuGH nämlich, dass die Disziplinarkammer gegen EU-Recht verstoße. Polen müsse ihre Arbeit aussetzen, hieß es in der einstweiligen Anordnung. Da das Land dies nicht tat, zog die Kommission erneut vor den EuGH und beantragte Bußgeld-Zahlungen.
Polen seinerseits forderte erfolglos die Aufhebung der Anordnung vom Juli. Der Gerichtshof entschied nun, dass Polen das Zwangsgeld solange zahlen muss, bis es die frühere EuGH-Entscheidung umsetzt oder das endgültige Urteil fällt. Bisherige Maßnahmen reichten nicht aus.
Schon im September war Polen zu täglichen Zahlungen von einer halben Million Euro verurteilt worden, weil es entgegen einer einstweiligen Anordnung den Braunkohleabbau im Tagebau Turow an der Grenze zu Tschechien nicht stoppte. Allerdings entschied wiederum das polnische Verfassungsgericht Anfang Oktober, dass EU-Recht keinen Vorrang gegenüber nationalem Recht habe.
Der Streit spitzte sich seitdem weiter zu. Am Montag warf der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki der EU vor, ihm mit dem Antrag beim EuGH die “Pistole auf die Brust” zu setzen.
Das Thema wurde auch beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche besprochen. Dort sagten mehrere EU-Staats- und Regierungschefs, dass Brüssel die von Warschau erwarteten 36 Milliarden Euro für den Wiederaufbau nach der Pandemie nicht freigeben werde, solange der Streit nicht geklärt sei.
Unterstützung erhielt Polen im Rechtstaats-Streit mit Brüssel von Ungarn. “Es gibt EU-Staaten und Kräfte in der Brüsseler Kommission, die versuchen still und heimlich die EU-Verträge umzudeuten”, sagte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto der “Stuttgarter Zeitung” und den “Stuttgarter Nachrichten” (Donnerstagsausgabe). In der Frage, wann das europäische Recht Vorrang vor dem nationalen Recht habe, teile Ungarn ausdrücklich die polnische Position.
Die Grünen im Bundestag begrüßten hingegen die EuGH-Entscheidung und forderten weitere finanzielle Konsequenzen. “Verstöße gegen EU-Recht haben einen hohen Preis”, erklärte die europapolitische Sprecherin der Fraktion, Franziska Brantner am Mittwoch. Diese klare Haltung müsse die EU-Kommission beweisen “und auf die Rechtsstaatlichkeit pochen, bevor sie weitere EU-Gelder an die polnische Regierung auszahlt”.
Quelle: AFP