Wenig Lohn, schlechte Unterkünfte, kein Gesundheitsschutz: Die Gewerkschaft IG BAU und weitere Organisationen haben auch bei der diesjährigen Saisonarbeit in der Landwirtschaft auf eine Reihe eklatanter Rechtsverstöße verwiesen. In ihrem am Freitag vorgestellten Jahresbericht machte die herausgebende Initiative Faire Landarbeit auf vier Problemfelder aufmerksam: die fehlende Sozial- und Krankenversicherung wegen kurzfristiger Beschäftigung, zu geringe Löhne, mangelhafte Unterkünfte sowie Verstöße gegen Infektionsschutzregeln und den Gesundheitsschutz.
“Die nächste Koalition muss der Ausbeutung auf deutschen Feldern ein für alle Mal ein Ende setzen”, forderte Anja Piel, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund. “Die sozial nicht abgesicherte kurzfristige Beschäftigung muss in allen Branchen auf wenige Tage im Jahr begrenzt werden.” Außerdem müsse es in der Landwirtschaft mehr staatliche Kontrollen geben.
Auch in diesem Jahr, in der zweiten Erntesaison unter Corona-Bedingungen, bleibe die Zahl von Saisonarbeitern “unverändert hoch”, lautet die Einschätzung der Initiative Faire Landarbeit, einem Bündnis von Gewerkschaften und Organisationen. Im Jahr 2019 und damit in der Saison vor der Corona-Pandemie, waren es rund 274.700 Beschäftigte.
In diesem Jahr rückten nach Angaben der Initiative 44 Mal Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Felder aus und informierten über 2500 Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter über ihre Rechte. Die Mehrzahl der Beschäftigten kam demnach aus Rumänien, darüber hinaus seien Menschen aus Polen, Kroatien, der Ukraine und Bulgarien erreicht worden. Zum ersten Mal kamen in diesem Jahr zudem rund 180 Menschen über ein Drittstaatenabkommen aus Georgien für die Arbeit in der Landwirtschaft nach Deutschland.
Eingesetzt werden die Arbeitskräfte unter anderem beim Spargelanbau, für Wein und Hopfen, aber auch im Gartenbau und im Ackerbau. Oft sind es Erntehelfer.
Im diesjährigen Bericht der Initiative zitiert werden unter anderem die Schilderungen von zehn Rumänen, die bei einer Baumschule in Nordrhein-Westfalen beschäftigt waren. Sie berichteten, dass ihre Pässe als “Kaution” vom Arbeitgeber einbehalten worden seien. Außerdem seien sie gezwungen worden, ihnen unbekannte Dokumente zu unterzeichnen. Der nach Akkordarbeit ausgezahlte Lohn lag bei Berücksichtigung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit demnach nur bei etwa vier Euro pro Stunde.
Die Beschäftigten schilderten außerdem die Anwendung von Gewalt durch ihren Arbeitgeber: Diese reichte von Drohungen und Anschreien bis zu körperlichen Übergriffen. Als sie sich über ihre schlechten Arbeitsbedingungen beklagten, wurden sie auf die Straße gesetzt und verloren ihre Arbeit und ihre Unterkunft, wie es in dem Bericht hieß.
Der stellvertretende Bundesvorsitzende der IG Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU), Harald Schaum, forderte, permanente massive Arbeitsrechtsverletzungen in der Saisonarbeit müssten “endlich aufhören”. Die Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft der Bundesregierung, die Ende Juni ihren Abschlussbericht vorgelegt hatte, sowie die Verständigung der EU auf eine soziale Konditionierung der Agrarsubventionen müssten nun von der neuen Bundesregierung “konsequent umgesetzt” und die staatlichen Kontrollen “massiv ausgebaut werden”.
Im Abschlussbericht der Zukunftskommission heißt es, dass für “alle Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft” sichergestellt werden solle, “dass sie in der Regel sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und die Ausnahmeregelungen auf ihre Angemessenheit geprüft werden”. Außerdem müssten Bezahlung, Unterbringung und Arbeitsbedingungen “den inländischen Anforderungen entsprechen” und transparente monatliche Entgeltabrechnungen ausgehändigt werden. Zudem müsse es “ausreichende, flächendeckende und konzertierte Kontrollen durch die unterschiedlichen zuständigen Behörden” geben.
Insgesamt hätten sich die Arbeitsbedingungen für Saisonarbeitskräfte durch einige rechtliche Regelungen wie Mindestlohngesetz und Arbeitnehmer-Entsendegesetz verbessert. Teilweise würden sie aber immer noch “zu sehr geringen Löhnen und unter problematischen Bedingungen in Bezug auf Arbeitszeiten, Unterbringung, Gesundheits- und Arbeitsschutz beschäftigt”.
Schlechte Arbeitsbedingungen sprächen sich allerdings unter den Saisonarbeitskräften, auch über Online-Netzwerke, immer schneller herum, heißt es im Abschlussbericht. “Etliche Betriebe” machten daher inzwischen die Erfahrung, dass sie bessere Bedingungen bieten müssten, um verlässliche Saisonarbeitskräfte zu bekommen und dann auch halten zu können.
Quelle: AFP