SPD, Grüne und FDP haben sich auf gemeinsame Grundlagen verständigt, um erstmals auf Bundesebene über die Bildung einer Ampel-Koalition zu verhandeln. “Hier ist ein Aufbruch möglich – getragen von den drei Parteien”, sagte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz am Freitag in Berlin bei der Präsentation der Sondierungsergebnisse.
Der SPD-Vorstand billigte noch am Nachmittag einstimmig das gemeinsame Beschlusspapier. Die Grünen bewerten dieses am Sonntag auf einem kleinen Parteitag, die FDP am Montag durch den Parteivorstand. Stimmen alle zuständigen Gremien zu, dürften die formellen Koalitionsverhandlungen noch kommende Woche beginnen. Sie sollen möglichst vor Weihnachten abgeschlossen werden.
“Wir sind davon überzeugt, dass wir einen ambitionierten und tragfähigen Koalitionsvertrag schließen können”, heißt es in dem zwölfseitigen Ergebnispapier. Darin sind gemeinsame Projekte etwa im Klimaschutz, bei der Digitalisierung, der sozialen Absicherung und dem Wohnungsbau umrissen. Die bedeutsame Frage der Finanzierung dieser Projekte blieb allerdings vorerst offen.
Mit einer Ampelkoalition verbinde er “die Hoffnung, dass tatsächlich Großes geleistet werden kann”, sagte der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck. FDP-Chef Christian Lindner sagte: “Wir haben das gemeinsame Verständnis, dass unsere Gesellschaft einen Liberalisierungsschub benötigt.” Alle drei Parteien seien getragen vom Willen zur “Modernisierung unseres Gemeinwesens”, sagte Scholz, der im Falle erfolgreicher Koalitionsverhandlungen neuer Bundeskanzler werden würde.
In dem Sondierungspapier erzielten die drei Parteien in mehreren Streitpunkten Kompromisse – wobei jeder der Partner Zugeständnisse machen musste. Der Mindestlohn soll auf zwölf Euro pro Stunde steigen. An die Stelle von Hartz IV soll ein “Bürgergeld” treten. Das Rentenniveau soll bei 48 Prozent stabil gehalten werden. Zudem wollen die Ampel-Parteien den Einstieg in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rente schaffen. Zur Unterstützung von Kindern in armen Familien soll eine Kindergrundsicherung geschaffen werden.
Die Anstrengungen beim Klimaschutz sollen verstärkt werden: Der Kohleausstieg soll “idealerweise” auf 2030 vorgezogen werden. Das Aus für den fossilen Verbrennermotor soll vor 2035 kommen – ein genaues Jahr nennt das Papier nicht. Ein Tempolimit soll es nicht geben.
Ihre Pläne wollen die drei Parteien unter Berücksichtigung der Schuldenbremse umsetzen. Neue Substanzsteuern sollen nicht eingeführt werden – dies betrifft etwa die Vermögensteuer. Einkommen-, Unternehmen- oder Mehrwertsteuer sollen nicht erhöht werden.
Scholz zeigte sich gleichwohl von der Finanzierbarkeit der Projekte überzeugt. “Mit dem, was wir vereinbart haben, besteht der fiskalische Spielraum, der nötig ist” für die angestrebten Investitionen in Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung, sagte der derzeitige Finanzminister.
Die Koalitionsverhandlungen sollen nach Informationen aus Verhandlerkreisen kommende Woche starten, wahrscheinlich in der zweiten Wochenhälfte. Zuvor müsse noch geklärt werden, wie die Verhandlungen in einem “strukturierten Prozess” vonstatten gehen können, hieß es.
In der Einleitung des Papiers ist von einem “innovativen Bündnis” trotz der unterschiedlichen Sichtweisen der Parteien die Rede. “Wir können einen Beitrag leisten, politische Frontstellungen aufzuweichen und neue politische Kreativität zu entfachen.” Es werde keine Koalition “des kleinsten gemeinsamen Nenners” geben, sagte Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock.
Ein durchwachsenes Echo kam von den Umweltverbänden. Gelobt wurden das Ziel eines früheren Kohleausstiegs sowie die Offensive beim Ökostrom. Kritik kam an offenen Fragen etwa hinsichtlich einer Verkehrswende und am Verzicht auf ein Tempolimit.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger kritisierte in den Funke-Zeitungen fehlende Reformen im Bereich der Sozialversicherung. Hier drohten nun “vier weitere Jahre Stillstand”. Grundsätzlich positiv mit Blick auf den angekündigten digitalen Aufbruch äußerte sich der Digitalverband Bitkom. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, sprach vorsichtig von einer “ersten beachtlichen Grundlage” für die Regierungsarbeit.
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) sprach von einem “ungedeckten Scheck auf die Zukunft”, weil wichtige Finanzierungsfragen nicht gelöst seien. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch bemängelte vor allem, dass eine Umverteilung nicht stattfinde, lobte aber die geplante Kindergrundsicherung.
Quelle: AFP