Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat eine stärkere Auseinandersetzung mit deutschem Kolonialismus angemahnt. “Wenn es um die Kolonialzeit geht, haben wir sonst so geschichtsbewussten Deutschen allzu viele Leerstellen”, sagte Steinmeier am Mittwoch beim Festakt zur Eröffnung der Ausstellungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in Berlin. “Wir haben blinde Flecken in unserer Erinnerung und unserer Selbstwahrnehmung”, kritisierte Steinmeier.
Die beiden Museen befinden sich im neu eröffneten Humboldt Forum, das im zum Teil wiederaufgebauten Berliner Schloss entstanden ist. An den dort untergebrachten Ausstellungen entzündete sich auch eine Debatte um Raubkunst und die deutsche Kolonialgeschichte.
Steinmeier mahnte mit Blick auf diese Debatte, das wiedererstandene Schloss müsse “auch Erinnerung und Mahnung sein: an Militarismus und Nationalismus und an den deutschen Kolonialismus”.
Im “kollektiven Gedächtnis” sei die deutsche Kolonialzeit lange Zeit “entweder glorifiziert worden – oder aber noch häufiger gänzlich vergessen”, kritisierte Steinmeier. Doch das Unrecht, das Deutsche in der Kolonialzeit begangen hätten, gehe “uns als ganze Gesellschaft etwas an”. Denn in Deutschland gebe es auch in der Gegenwart “Rassismus, Diskriminierung, Herabsetzung von vermeintlich Fremden – bis hin zu tätlichen Angriffen und furchtbaren Gewalttaten”.
Er bleibe überzeugt, die “tieferen Wurzeln des Alltagsrassismus werden wir nur dann verstehen und überwinden können, wenn wir die blinden Flecken unserer Erinnerung ausleuchten, wenn wir uns viel mehr als bislang mit unserer kolonialen Geschichte auseinandersetzen”, sagte Steinmeier.
Der Bundespräsident verwies in diesem Zusammenhang auch auf das Versöhnungsabkommen mit Namibia. “Dort, im einstigen Deutsch-Südwestafrika, verübten deutsche sogenannte Schutztruppen zu Beginn des 20. Jahrhunderts den ersten Völkermord dieses so blutigen Jahrhunderts”, sagte Steinmeier. Er hoffe, dass die Verhandlungen über ein Versöhnungsabkommen bald zu einem einvernehmlichen Abschluss kämen.
Ende Mai war bekannt geworden, dass Deutschland die Verbrechen deutscher Kolonialtruppen an den Volksgruppen der Herero und Nama im heutigen Namibia Anfang des 20. Jahrhunderts offiziell als Völkermord anerkennen und die Nachkommen der Opfer um Entschuldigung bitten wird. In dem Versöhnungsabkommen vorgesehen sind außerdem deutsche Wiederaufbauhilfen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro. Das Geld soll vor allem in den Siedlungsgebieten der Herero und Nama eingesetzt werden.
In der Debatte um Raubkunst rief der Bundespräsident zum Dialog auf. Alle Europäer müssten “manches Denkmuster überwinden und andere Perspektiven wahrnehmen und zulassen”. Das heiße auch, das Gespräch mit Ländern und Regionen zu führen, aus denen die Artefakte stammten. Mit Blick auf das umstrittene Humboldt-Forum sagte er: Wenn es zu einem Ort werde, “an dem diese Debatten geführt werden und an dem wir Antworten auf die vielen Fragen, die dieses Schloss aufwirft, auch tatsächlich näherkommen, dann hätte sich die Frage nach seiner Sinngebung beantwortet”.
Quelle: AFP