Taliban nehmen nach Ghanis Flucht Präsidentenpalast in Kabul ein

Zwei Jahrzehnte nach ihrem Sturz sind die Taliban am Sonntag ins Zentrum der Macht in Afghanistan vorgerückt. Nach ihrem blitzartigen Vormarsch feierten bewaffnete Kämpfer der radikalislamischen Miliz im Präsidentenpalast in Kabul ihren “siegreichen” Feldzug gegen die afghanische Regierung. Deutschland und weitere westliche Staaten räumten ihre Botschaften, die ersten deutschen Botschaftsmitarbeiter sollten noch am Sonntag ausgeflogen werden.

Nach einem zehntägigen Eroberungsfeldzug durch Afghanistan war die radikalislamische Miliz am Sonntag bis an den Stadtrand von Kabul herangerückt. Die afghanische Regierung gab auf und erklärte sich zur Machtübergabe bereit, Präsident Aschraf Ghani floh ins Ausland. Am Abend verkündeten die Islamisten dann, sie seien in erste Bezirke der Hauptstadt vorgedrungen, um dort “die Sicherheit zu gewährleisten”. 

Später nahmen die Taliban dann den Präsidentenpalast in Kabul ein. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie sich dutzende bewaffnete Kämpfer im Amtssitz des Staatschefs aufhielten. Die Taliban hätten das Land mit ihrer “siegreichen” Offensive “befreit”, sagte einer von ihnen dem TV-Sender Al-Dschasira.

Zuvor hatte ein Taliban-Sprecher dem Sender BBC gesagt, die Miliz strebe einen “friedlichen Machttransfer” innerhalb der “kommenden Tage” an. Afghanistans Innenminister Abdul Sattar Mirsakwal sagte eine “friedliche Machtübergabe” an eine “Übergangsregierung” zu.

Ghani meldete sich Stunden nach seiner Flucht mit einer Erklärung via Facebook zu Wort: “Die Taliban haben gesiegt”, schrieb er. Er sei aus Afghanistan geflohen, um “eine Flut des Blutvergießens zu verhindern”. Wenn er geblieben wäre, wären “zahllose Patrioten” getötet und Kabul zerstört worden, fügte er hinzu. Ghani sagte nicht, in welchem Land er sich inzwischen aufhält. Nach Angaben des afghanischen Fernsehsenders Tolo floh er nach Tadschikistan.

Die Islamisten hatten in den vergangenen Tagen eine afghanische Stadt nach der anderen eingenommen, zuletzt auch das strategisch wichtige Dschalalabad im Osten und den früheren Bundeswehr-Standort Masar-i-Scharif im Norden. Unter den Bewohnern von Kabul breitete sich am Sonntag Panik aus, vor den Banken bildeten sich lange Schlangen. Vielerorts herrschte Angst davor, dass die Hauptstadt im Chaos versinken könnte. 

Die Geschwindigkeit des Taliban-Vormarsches seit dem Beginn des Abzugs der Nato-Truppen im Mai löste international Fassungslosigkeit aus. Unter Hochdruck arbeiteten westliche Staaten, darunter Deutschland und die USA, an der Rückführung von Botschaftspersonal sowie der Ausreise von afghanischen Ortskräften aus Kabul.

“Die Machtübernahme der Taliban steht unmittelbar bevor”, sagte Außenminister Heiko Maas (SPD) am Sonntagabend in Berlin. Die ersten Botschaftsmitarbeiter würden noch im Laufe des Tages ausgeflogen. Die Sicherheit der deutschen Staatsangehörigen, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Botschaft “und genauso der Menschen, mit denen wir in den letzten Jahren in Afghanistan zusammengearbeitet haben”, habe oberste Priorität. “Wir setzen jetzt alles daran, unseren Staatsangehörigen und unseren ehemaligen Ortskräften eine Ausreise in den kommenden Tagen zu ermöglichen”, sagte Maas.

In der Nacht sollten dann Transportflugzeuge A400M der Bundeswehr in die afghanische Hauptstadt starten, um bei der weiteren Evakuierung zu helfen. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) erklärte, Ziel sei es, “dass wir solange es die Möglichkeiten vor Ort erlauben, so viele Menschen wie möglich aus Afghanistan rausbringen”. 

Die USA brachten bereits “hunderte” ihrer Botschaftsmitarbeiter außer Landes, wie ein Regierungsvertreter in Washington am Sonntag sagte. US-Präsident Joe Biden kündigte an, tausend weitere Soldaten nach Kabul zu schicken, um die Evakuierungen zu unterstützen. Insgesamt werden sich somit 6000 US-Soldaten an dem Einsatz beteiligen.

Nach “Spiegel”-Informationen waren am Sonntag zunächst noch rund 20 Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Kabul. Hinzu kommen demnach Entwicklungshelfer sowie rund 80 weitere Deutsche, die sich noch in dem Land aufhalten. Zudem sollen rund 300 afghanische Ortskräfte, die in Afghanistan für Deutschland gearbeitet haben, samt ihren Familien ausgeflogen werden.

Die USA waren nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in Washington und New York an der Spitze einer internationalen Militärkoalition in Afghanistan einmarschiert und hatten die damals dort herrschenden Taliban von der Macht vertrieben. Begründet wurde der Einsatz damit, dass Afghanistan ein Rückzugsort für Extremisten des Terrornetzwerks Al-Kaida war, das die Anschläge auf Befehl von Osama bin Laden verübt hatte.

Quelle: AFP

Aktuelle Beiträge

Exklusiv Interviews

Melden Sie sich für unseren Newsletter an

Ihre E-Mail-Adresse wird nur für Werbe-E-Mails und kritische Nachrichtenankündigungen verwendet.