Mit der Forderung nach einer Neuverhandlung des Nordirland-Protokolls hat Großbritannien den Post-Brexit-Streit mit der EU neu angefacht. Die britische Regierung verlangte am Mittwoch, das Nordirland-Protokoll vorübergehend auszusetzen – und kassierte umgehend eine Absage aus Brüssel. Großbritannien will durch ein Moratorium Zeit gewinnen, um über “erhebliche Änderungen” an den Zollvereinbarungen des Nordirland-Protokolls zu verhandeln. EU-Kommissionsvizepräsident Maros Sefcovic erklärte jedoch, Brüssel schließe “Neuverhandlung” aus.
Die EU sei zwar bereit, den Dialog fortzusetzen und “innovative Lösungen” mit London zu finden, erklärte Sefcovic. Dies müsse aber “im Rahmen” des Nordirland-Protokolls geschehen. Eine “Neuverhandlung” werde “nicht akzeptiert”. Sefcovic verwies darauf, dass die in harter Arbeit ausgehandelten Regelungen vom britischen Parlament ratifiziert worden waren.
Zuvor hatte Brexit-Minister David Frost im Oberhaus in London das Moratorium verlangt: “Wir müssen uns schnell auf ein Moratorium einigen”, sagte er. Es seien Nachverhandlungen nötig, um das Nordirland-Protokoll in ein “neues Gleichgewicht” zu bringen.
Eine vorübergehende Aussetzung der Regelungen würde es ermöglichen, “die Probleme als Ganzes anzugehen” und nicht von einer Krise in die nächste zu stürzen, sagte der für Nordirland zuständige Staatssekretär Brandon Lewis.
Das Protokoll sieht vor, dass zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland keine Zollkontrollen eingeführt werden, stattdessen soll zwischen Großbritannien und Nordirland kontrolliert werden.
Die britische Regierung fordert nun unter anderem eine Lockerung der Kontrollen und eine Verlängerung der Übergangsregelungen für bestimmte Güter. Zudem solle der Europäische Gerichtshof keinen Rolle mehr bei der Überwachung des Nordirland-Protokolls spielen.
Die Anwendung des Nordirland-Protokolls sorgt seit Monaten für Streit zwischen Großbritannien und der EU. Eine Ausnahmeregelung für Fleischprodukte bei den Zollkontrollen hatte die EU bereits um drei Monate bis zum 30. September verlängert.
Die Unionisten in Nordirland kritisieren, dass durch das Protokoll de facto eine Seegrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs geschaffen wird. Sie fürchten, dass so der Weg für eine Wiedervereinigung Nordirlands mit Irland geebnet werden soll.
Auf der anderen Seite könnte eine Zollgrenze zwischen Nordirland und der Republik Irland das Karfreitagsabkommen von 1998 in Gefahr bringen, das den jahrzehntelangen Nordirland-Konflikt beendet hatte.
Der Chef der pro-britischen DUP-Partei, Jeffrey Donaldson, unterstützte am Mittwoch den Vorstoß Londons. Er forderte “echte Neuverhandlungen” mit der EU.
Irlands Außenminister Simon Coveney erinnerte hingegen daran, dass das Nordirland-Protokoll von London und Brüssel gemeinsam vereinbart worden sei. Das Abkommen müsse nun auch gemeinsam umgesetzt werden. Er rief beide Seiten auf, zusammen nach “realistischen Lösungen” zu suchen.
Quelle: AFP