Es ist trotz mancher Differenzen ein Besuch unter Freunden: Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Donnerstag von US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus empfangen wird, dürfte der Ton deutlich freundschaftlicher sein als unter Bidens Vorgänger Donald Trump. Allerdings kommt Merkel mit schwerem Gepäck: Das Thema Nord Stream 2 bleibt ein zentrales Streitthema zwischen Washington und Berlin. Mit einer Einigung während Merkels Besuch wird im Weißen Haus nicht gerechnet.
Merkel war am Mittwochabend (Ortszeit) zu ihrem mutmaßlich letzten Besuch als Regierungschefin in den USA angekommen. Nach ihrer Landung am internationalen Flughafen von Washington stand am Donnerstag ein Treffen mit US-Vize-Präsidentin Kamala Harris an. Später wird sie von US-Präsident Biden im Weißen Haus empfangen. Dort ist auch eine gemeinsame Pressekonferenz mit dem Präsidenten geplant (22.15 Uhr MESZ).
Merkels Besuch symbolisiert die Wiederbelebung der deutsch-amerikanischen Beziehungen, die in der Amtszeit des Rechtspopulisten Trump stark gelitten hatten. Doch auch unter dem neuen Präsidenten bleiben Konfliktthemen bestehen, insbesondere der Streit um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2. Die US-Regierung ist strikt gegen die nahezu fertiggestellte Pipeline zwischen Russland und Deutschland. Biden verlangt nun Zusicherungen Deutschlands für das Gastransitland Ukraine.
Bereits zu Wochenbeginn hatte Merkel sich skeptisch hinsichtlich einer konkreten Einigung im Streit um Nord Stream 2 während ihres US-Aufenthalts gezeigt. Ähnlich äußerte sich nun ein US-Regierungsvertreter. “Wir rechnen nicht mit irgendeiner Art von formaler Ankündigung.” Biden werde seine “langjährigen Bedenken” gegen Nord Stream 2 vortragen, hieß es weiter.
Der US-Präsident dürfte Merkel auch zu einem härteren Kurs gegenüber China drängen. Washington sieht das wirtschaftlich und militärisch aufstrebende China als größte geopolitische Herausforderung an und will die westlichen Verbündeten überzeugen, eine starke Front gegen Peking aufzubauen. In Deutschland stößt das angesichts der wichtigen Handelsbeziehungen zu China auf zurückhaltende Reaktionen.
Weitere wichtige Gesprächsthemen könnten die Lage im Bürgerkriegsland Afghanistan, der Umgang mit Russland und der Konflikt in der Ostukraine, der Klimawandel, US-Strafzölle, das Atomprogramm des Iran und der Patentschutz für Corona-Impfstoffe sein. Zuletzt war zudem der Druck auf Merkel gewachsen, das seit März 2020 wegen der Corona-Pandemie geltende US-Einreiseverbot für Europäer anzusprechen. Die EU hatte im Juni Einreisebeschränkungen für US-Bürger aufgehoben.
“Die USA sollten ihre Corona-Einreisebeschränkungen für den Schengen-Raum lockern”, forderte der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Peter Beyer (CDU), in der “Rheinischen Post”. Vor allem deutsche Wirtschaftsvertreter sollten wieder in die USA reisen dürfen – wenn sie den vollen Impfschutz hätten und die pandemische Lage es erlaube.
Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner forderte von Merkel derweil das Vorantreiben einer transatlantischen Agenda, darunter eine “globale Klimaallianz”, eine “gemeinsame Regulierung der Digitalkonzerne” sowie eine Reform der Welthandelsorganisation (WTO) gegen unfaire Handelspraktiken.
Biden sieht einen Wiederaufbau der Beziehungen zu den traditionellen westlichen Verbündeten als eine seiner außenpolitischen Hauptaufgaben an. Trump hatte Partner wie Deutschland und die anderen EU- und Nato-Staaten immer wieder mit Alleingängen und Verbalattacken vor den Kopf gestoßen.
Der Empfang von Merkel, die nach der Bundestagswahl im September und der Bildung einer neuen Bundesregierung nach 16 Jahren aus dem Kanzleramt ausscheiden wird, macht deutlich, wie wichtig Biden ein guter Draht nach Berlin ist. Merkel ist die erste europäische Regierungschefin, die von dem seit Januar amtierenden Präsidenten ins Weiße Haus eingeladen wurde.
Biden wird am Donnerstagabend gemeinsam mit First Lady Jill Biden ein offizielles Abendessen für Merkel und ihren Ehemann Joachim Sauer geben. Die Kanzlerin wird in Washington außerdem die Ehrendoktorwürde der renommierten Johns-Hopkins-Universität verliehen bekommen. Biden ist der vierte US-Präsident, der Merkel in Washington empfängt.
Quelle: AFP