Bei ihrer vermutlich letzten gemeinsamen Pressekonferenz haben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der britische Premierminister Boris Johnson eine Stärkung der deutsch-britischen Beziehungen vereinbart. Nach dem Brexit sollten “ganz praktische Formate” für enge Kontakte gefunden werden, so hätten sich beide Seiten auf regelmäßige Regierungskonsultationen geeinigt, sagte Merkel am Freitag nach ihrem Gespräch mit Johnson in Chequers nordwestlich von London.
Die Kanzlerin fügte hinzu: “Wir sind sehr gerne bereit, von deutscher Seite aus, an einem Freundschaftsvertrag oder Kooperationsvertrag gemeinsam zu arbeiten”. Zudem soll das Bundeskabinett künftig einmal im Jahr mit dem britischen Kabinett eine gemeinsame Sitzung abhalten. Merkel nahm bereits am Freitag an einer Videokonferenz des britischen Kabinetts teil und sprach zu den Ministerinnen und Ministern – eine Ehre, die den Angaben zufolge zuletzt 1997 dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton zuteil wurde.
Nach dem Brexit sei es “eine gute Gelegenheit, in den deutsch-britischen Beziehungen ein neues Kapitel zu öffnen”, betonte die Kanzlerin. Sie wünsche sich besonders eine Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Energie und Kultur.
Die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner hatte vor dem Treffen die Kanzlerin vor deutschen Alleingängen innerhalb der EU im Post-Brexit-Verhältnis zu London gewarnt. “Wir brauchen enge und gute Beziehungen zu Großbritannien auf neuer Grundlage. Doch bilaterale Abkommen und Gespräche dürfen nicht zum Spaltpilz in Europa werden”, sagte Brantner.
Johnson hatte vor dem Treffen erklärt, Deutschland und Großbritannien seien durch eine “unerschütterliche Freundschaft” und “gemeinsame Ansichten” in vielen politischen Fragen verbunden. In Merkels 16-jähriger Amtszeit sei das deutsch-britische Verhältnis wieder “neu belebt” worden. “Ich möchte Ihnen für Ihr wirklich historisches Engagement, nicht nur in den deutsch-britischen Beziehungen, sondern auch in der globalen Diplomatie danken”, sagte Johnson am Freitag.
Der Premier lobte zu Ehren der Kanzlerin einen Preis für Wissenschaftlerinnen aus Deutschland und Großbritannien aus. Der Preis ist nach der deutsch-britischen Astronomin Caroline Herschel benannt und mit umgerechnet rund 11.600 Euro dotiert. Er soll jährlich an eine Astrophysikerin aus Deutschland oder Großbritannien verliehen werden.
Ein wichtiger Punkt auf der Tagesordnung von Merkel und Johnson war auch der Kampf beider Länder gegen die Corona-Pandemie. Die Kanzlerin stellte geimpften Briten Erleichterungen bei der Einreise nach Deutschland in Aussicht. “Ich gehe davon aus, dass in wirklich absehbarer Zeit die doppelt Geimpften” wieder reisen können, “ohne in Quarantäne zu gehen”, sagte Merkel. “Wir wollen ja die Menschen ermuntern, sich impfen zu lassen”, fügte sie hinzu.
In Großbritannien sind die Ansteckungszahlen wegen der Ausbreitung der Delta-Variante erstmals seit zweieinhalb Monaten wieder stark gestiegen. Auch die Zahl der neuen Todesfälle hat sich innerhalb von zwei Wochen fast verdoppelt, von täglich zehn auf 17 in der vergangenen Woche. Merkel betonte, dass die Delta-Variante mittlerweile auch in Deutschland auf dem Vormarsch sei.
In Hinblick auf die beim Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft in Großbritannien zugelassenen Zuschauer sagte Merkel: “Ich bin sorgenvoll und skeptisch, ob das gut ist und nicht ein bisschen viel”. In Deutschland sei die Zahl der zugelassenen Zuschauer im Münchner Stadion reduziert worden, betonte die Kanzlerin. Johnson verwies auf die hohe Impfquote in der britischen Bevölkerung und das damit einhergehende niedrige Risiko für einen schweren Verlauf der Erkrankungen.
Im Anschluss an den Besuch bei Johnson wird Merkel von Queen Elizabeth II. auf dem rund 40 Kilometer von London entfernten Schloss Windsor empfangen. Die beiden Frauen hatten sich zuletzt Mitte Juni am Rande des G7-Gipfels im südwestenglischen Cornwall getroffen. Für Merkel, die nach 16 Jahren ihr Amt nach der Bundestagswahl im September abgibt, ist es voraussichtlich der letzte Besuch als Bundeskanzlerin in Großbritannien.
Quelle: AFP