Vor dem EU-Gipfel hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den deutsch-französischen Vorschlag zu Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verteidigt. Angesichts der russischen “Provokationen” müsse die EU “auch den direkten Kontakt mit Russland und dem russischen Präsidenten suchen”, sagte Merkel am Donnerstag im Bundestag. Der Vorschlag ist unter den EU-Mitgliedstaaten umstritten. Ein anderes Streitthema in Brüssel ist das umstrittene Homosexuellen-Gesetz in Ungarn.
Merkel forderte in ihrer Regierungserklärung eine Gesprächsinitiative der EU mit Russland, um eine weitere Verschlechterung der Beziehungen abzuwenden. Die EU müsse hier “Gesprächsformate” schaffen.
Die Kanzlerin forderte eine geschlossenere Haltung der EU gegenüber Russland. “Die Ereignisse der letzten Monate haben deutlich gezeigt, dass es nicht reicht, wenn wir auf die Vielzahl russischer Provokationen unkoordiniert reagieren”, sagte Merkel.
Konflikte könnten am besten gelöst werden, “wenn man auch miteinander spricht”, sagte sie bei ihrer Ankunft in Brüssel. Sie verwies dabei auf das Treffen von US-Präsident Joe Biden mit Putin in der vergangenen Woche in Genf.
Deutschland und Frankreich hatten die EU-Partner am Mittwoch mit einem Vorschlag für mögliche Gipfeltreffen mit Putin überrascht. Ein EU-Diplomat sagte vor Gipfelbeginn, zwei Drittel der Mitgliedstaaten seien für den Vorschlag, Themen und Formate für den Dialog mit Russland zu diskutieren. Ein Drittel sei dagegen. Dazu gehörten Polen und die baltischen Staaten, die traditionell eine harte Linie gegenüber Russland fordern, aber auch Schweden und die Niederlande.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, Putin unterstütze die deutsch-französische Initiative. Der russische Präsident befürworte die “Schaffung eines Mechanismus für einen Dialog und Kontakte zwischen Brüssel und Moskau”.
Die ukrainische Regierung warnte die EU-Staats- und Regierungschefs hingegen davor, Gespräche mit Putin wiederaufzunehmen. Ein solcher Schritt werde Russland “noch mehr von der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen” für einen Frieden in der Ukraine abhalten, sagte der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba in Brüssel.
Die EU hatte nach der Annexion der Krim und dem Beginn des Konflikts mit pro-russischen Separatisten in der Ostukraine im Jahr 2014 umfangreiche Sanktionen gegen Russland verhängt. Dazu gehört auch die Aussetzung der EU-Russland-Gipfel. Eine Rücknahme der Sanktionen hatte die EU bisher immer von Fortschritten bei der Umsetzung der Minsker Friedensabkommen abhängig gemacht.
Neben der Haltung zu Russland beschäftigt sich der EU-Gipfel auch mit dem Streit um das jüngst in Ungarn verabschiedete Homosexuellen-Gesetz. 17 der 27 EU-Länder einschließlich Deutschlands hatten die EU-Kommission am Dienstag aufgefordert, umgehend gegen das umstrittene Gesetz vorzugehen, das die Information über Homo- und Transsexualität beschränkt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete das Gesetz als “Schande”.
Das Thema steht beim Abendessen auf der Agenda. Merkel (CDU) und 16 weitere Staats- und Regierungschefs forderten vor dem Gipfel in einem Schreiben an EU-Ratspräsident Charles Michel, von der Leyen und UN-Generalsekretär António Guterres, die Rechte sexueller Minderheiten zu schützen.
“Wir müssen den Kampf gegen die Diskriminierung der LGBTI-Gemeinschaft fortsetzen und bekräftigen unsere Verteidigung ihrer grundlegenden Rechte”, heißt es darin. Anders als in einer vorangegangenen gemeinsamen Erklärung der Regierungen findet sich darin aber kein direkter Verweis auf das umstrittene ungarische Homosexuellen-Gesetz.
Ungarns Regierungschef Viktor Orban wies die Kritik an dem Gesetz zurück. Die Kritiker hätten das Gesetz offenbar nicht gelesen, sagte er in Brüssel. Es richte sich nicht gegen Homosexuelle, sondern gebe Eltern das Recht zu entscheiden, wie ihre Kinder erzogen würden. Er selbst habe sich zu Zeit des Kommunismus für die Rechte von Homosexuellen eingesetzt.
Der Gipfel beginnt zunächst mit einem Gespräch mit Guterres, bevor die Lage in der Corona-Pandemie und die Migrationspolitik auf der Agenda stehen. Merkel mahnte eine ehrliche Bilanz von Unzulänglichkeiten beim Krisenmanagement der EU an. Ziel müsse es sein, dass Europa künftig besser mit “Herausforderungen dieser Größenordnung” umgehen kann, sagte sie im Bundestag.
Quelle: AFP