Die Einigung der großen Koalition beim Lieferkettengesetz stößt bei Wirtschaftsverbänden auf massive Kritik: Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall nannte die Regelung “das dümmste Gesetz, das von der großen Koalition verabschiedet wurde”. Auch von anderen Verbänden und der FDP-Fraktion hagelte es Kritik – lobende Worte fanden hingegen Kirchenvertreter.
Union und SPD hatten sich am Donnerstag nach langem Streit auf den Entwurf für das Lieferkettengesetz verständigt. Gelten soll es ab 2023 für Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten in Deutschland, ab 2024 dann auch für Firmen ab 1000 Beschäftigten. Mit dem Gesetz drohen hohe Strafen, wenn die Unternehmen ihren menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in den Lieferketten nicht nachkommen. Eine zivilrechtliche Haftung gibt es nicht.
Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander sagte der “Bild”-Zeitung vom Freitag, mit dem Gesetz würden Unternehmen dazu verpflichtet, “die Herkunft jeder kleinen Schraube und jedes Bleistifts zu dokumentieren”. Auch der Hauptgeschäftsführer des Außenhandelsverbandes BGA, Gerhard Handke, befürchtet eine “immense Belastung für die kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland”. Es sei “geradezu absurd, dass dieses Gesetz ausgerechnet für große ausländische Konkurrenten und dominierende Handelsplattformen nicht gilt”.
Der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie, Uwe Mazura, warf der Politik vor, mit dem gut gemeinten Gesetz das Gegenteil zu bewirken. Das “Bürokratiemonstrum” treffe ausgerechnet diejenigen, die Menschenrechte und faire Umwelt- und Sozialstandards ernst nähmen. Damit schwäche der Gesetzgeber “Unternehmen, die in Deutschland Steuern zahlen, ausbilden, für Arbeitsplätze und Wertschöpfung sorgen”, sagte er der “Augsburger Allgemeinen” (Samstagausgabe).
Auch der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), Thilo Brodtmann, nannte das Gesetz “eine bürokratische Zumutung”. Im Zweifelsfall würden die Unternehmen sich “aus Lieferbeziehungen zurückziehen, auch wenn tatsächlich keine Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht vorliegt”.
Brodtmann fügte hinzu: “Wir setzen darauf, dass der Bundestag dieses praxisferne Gesetz ablehnt und hoffen auf eine bessere europäische Lösung.” Die EU-Kommission will noch in diesem Jahr ein Lieferkettengesetz vorschlagen. Das EU-Parlament hatte sich im März indes für ein deutlich strengeres Lieferkettengesetz ausgesprochen als die Bundesregierung.
“Licht und Schatten” im Lieferkettengesetz sieht die chemische und pharmazeutische Industrie: Positiv werteten die Verbände VCI und BAVC, dass die zivilrechtliche Haftung gegenüber den ursprünglichen Entwürfen ausgewogener gestaltet worden sei. Zugleich müsse eine “überbordende Belastung für mittelständische Unternehmen” verhindert werden, forderten sie.
Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Reinhard Houben, warf der Union vor, sie habe sich beim Lieferkettengesetz von der SPD “weichkochen” lassen. “Damit fällt sie der Wirtschaft in den Rücken”, kritisierte er.
Der Verband der Familienunternehmer wies auf die schwierigen Umstände für das “miserabel verfasste” Gesetz hin. Es werde in einer Zeit aufgesetzt, “in der die internationalen Lieferketten ohnehin äußerst brüchig und zunehmend instabil sind – die am Bau und der Mikroelektronik sind am offensichtlichsten”, erklärte Verbandspräsident Reinhold von Eben-Worlée. Das Gesetz müsse dringend überarbeitet werden, da mittelständische Unternehmen sonst nicht mehr wettbewerbsfähig seien.
Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche bezeichneten das Lieferkettengesetz am Freitag hingegen als wichtigen und notwendigen Schritt zum Schutz von Menschenrechten. “Gerade wir Deutschen profitieren von der globalisierten Wirtschaft”, erklärte Prälat Martin Dutzmann, Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). “Es liegt deshalb auch in unser aller Verantwortung, den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt weltweit zu gewährleisten”, ergänzte Prälat Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der Deutschen Bischöfe. “Die positiven Anreize, die sowohl wir als Verbraucher als auch die Unternehmen hierfür setzen können, dürfen wir nicht unterschätzen.”
Quelle: AFP