Die bundeseinheitliche Notbremse zur Eindämmung der Corona-Pandemie greift ab Samstag. Der Bundesrat billigte am Donnerstag die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes, im Anschluss fertigte sie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aus. Damit ist der Weg für die Maßnahmen frei, zu denen auch die umstrittene nächtliche Ausgangssperre gehört. Im Bundesrat gab es heftige Kritik am Vorgehen des Bundes. Die Notbremse kommt zudem beim Bundesverfassungsgericht auf den Prüfstand.
Die Maßnahmen der Notbremse gelten in Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen drei Tage lang die Sieben-Tagen-Inzidenz bei 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern lag. Auf Grundlage der Inzidenzen der letzten drei Tage bewerteten und veröffentlichten die Kommunen, welche Regeln bei ihnen am nächsten Tag gelten, teilte das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Homepage mit. Nach der Beratung am Donnerstag im Bundesrat trete die Neuregelung am Freitag in Kraft. “Das erste Mal greift das Gesetz also am 24.4.2021.”
Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz der Länder, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), sagte im Bundesrat, die Erfahrungen der Länder hätten stärker in das Gesetz einfließen sollen. Er kritisierte die für Schulschließungen festgelegte Grenze von einer 165er-Inzidenz: “Sie löst es weder in die eine noch die andere Richtung.”
Bundesratspräsident Reiner Haseloff (CDU) sprach von einem “Tiefpunkt in der föderalen Kultur der Bundesrepublik Deutschland”. Er nannte “Entstehung, Ausgestaltung und Ergebnis unbefriedigend”, sagte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Es stelle sich die Frage, “worin der Mehrwert dieses Gesetzes für die Menschen in Deutschland liegt”.
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) kritisierte ebenso wie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die nächtliche Ausgangssperre. Deren Verfassungsmäßigkeit stehe in Frage, sagte er. “Für den Infektionsschutz ist das kein großer Wurf”, sagte er.
Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) zeigte sich verärgert darüber, dass es seit einiger Zeit keine Beratungen der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gebe. Er müsse nunmehr Talkshows schauen, “um vielleicht zu erfahren, was von mir erwartet wird”.
Demgegenüber verteidigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Neuregelung. Der Inzidenzwert müsse gesenkt werden, um das Gesundheitswesen zu entlasten, sagte er vor der Länderkammer. Die privaten Kontakte seien dabei der schwerste Bereich.
Die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes ist ein Einspruchsgesetz, zu dem die Länderkammer nicht aktiv zustimmen musste, um es in Kraft treten zu lassen. Sie hätte dafür mit Mehrheit den Vermittlungsausschuss anrufen müssen, was am Donnerstag aber nicht geschah.
Die Neuregelung sieht neben der Ausgangssperre zwischen 22.00 Uhr und 05.00 morgens bundeseinheitliche Regeln auch zu Kontaktbeschränkungen sowie der Schließung von Geschäften und Schulen vor. Die meisten Maßnahmen sollen ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner gelten, Schulen müssen ab einer Inzidenz von 165 schließen.
Gegen das neue Infektionsschutzgesetz wurde umgehend in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde eingelegt. Der Rechtsanwalt Claus Pinkerneil bestätigte am Donnerstag auf Anfrage, dass er sich an das Bundesverfassungsgericht gewandt habe. Auch die FDP, die Freien Wähler und die Gesellschaft für Freiheitsrechte wollen gegen das Gesetz klagen.
Quelle: AFP