Trotz des massiven Vorgehens des russischen Sicherheitsapparates hat der inhaftierte Kreml-Kritiker Alexej Nawalny seine Anhänger dazu aufgerufen, den Druck aufrechtzuerhalten. Die Herrschenden könnten sich nur solange an der Macht halten, wie sie sich auf die Angst der Russen verlassen könnten, schrieb Nawalny am Donnerstag im Online-Dienst Instagram. Auch von russischen Medien kam ungewohnt deutliche Kritik am harten Vorgehen der Sicherheitskräfte bei den Demos gegen Präsident Wladimir Putin.
“Wenn wir diese Angst überwinden, können wir unser Heimatland von dieser Bande aus Dieben befreien”, schrieb Nawalny. “Lasst es uns tun. Wir müssen es tun.” Er äußerte sich erstmals öffentlich, seit ein Gericht in Moskau am Dienstag eine bereits verhängte Bewährungsstrafe aus dem Jahr 2014 in knapp drei Jahre Strafkolonie umgewandelt hatte. Am Freitag steht ihm ein weiterer Prozess bevor, bei dem ihm wegen “Verleumdung” eines Weltkriegsveteranen fünf Jahre Haft drohen.
“Die eindeutige Gesetzlosigkeit, der ich von dem Moment an ausgesetzt war, als ich aus dem Flugzeug stieg, ist Putins Rache an mir persönlich”, schrieb der 44-Jährige. Nawalny war Mitte Januar bei seiner Rückkehr nach Moskau festgenommen worden. Er war zuvor in Deutschland nach einem Giftanschlag behandelt worden, für den er die russische Regierung verantwortlich macht. Der Anti-Korruptions-Aktivist ist der prominenteste Kritiker des russischen Präsidenten.
Für Nawalnys Freilassung und gegen Kreml-Chef Putin waren zuletzt in ganz Russland zehntausende Menschen auf die Straße gegangen. Laut der Nichtregierungsorganisation OWD-Info wurden seit Beginn der Protestwelle mehr als 11.000 Menschen festgenommen. Nawalny wirft den russischen Behörden vor, Oppositionelle durch das harte Vorgehen einschüchtern zu wollen.
Die Festnahme des Chefredakteurs der Nachrichtenplattform “Mediasona”, Sergej Smirnow, sei ein “Einschüchterungsversuch” gegenüber allen Journalisten, schrieb unter anderem die Zeitung “Kommersant” am Donnerstag. Smirnow hatte zuvor eine Twitter-Botschaft weiterverbreitet, die neben satirischer Bemerkungen auch einen Aufruf zur Teilnahme an den Protesten für Nawalny beinhaltete.
“Das Problem beschränkt sich nicht auf die Presse”, schrieb die Zeitung, die einem Putin-Vertrauten gehört. “In den vergangenen Wochen wurden wir Zeugen eines extrem harten Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten.” Massenfestnahmen und Gewalt dürften “nicht zur Norm in unserem Land werden”. Die Menschenrechtsorganisationen Memorial und prominente Aktivisten zeigten sich in einer gemeinsamen Erklärung besorgt angesichts der “beispiellosen Eskalation unbegründeter Gewalt”.
Der Umgang mit Regierungskritikern überschattet auch den Besuch des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, der am Freitag den russischen Außenminister Sergej Lawrow treffen wollte. Borrell ist der erste EU-Außenbeauftragte seit 2017, der Russland besucht. Schon im Vorfeld hatte der Spanier angekündigt, dem Kreml “klare Botschaften” zu überbringen.
Die belarussische Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja rief die Führung in Moskau auf, “auf das Volk zu hören”. Es sei wichtig, auf die Forderungen der Menschen acht zu geben, “herauszufinden, was schief läuft und zu versuchen, dies auf zivilisierte Weise zu lösen, ohne Schlagstöcke oder Elektroschocker”, sagte die im Exil lebende Ex-Präsidentschaftskandidatin in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP.
Der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, kündigte am Donnerstag in Washington an, Moskau für die Einmischung in die US-Wahlen, die Vergiftung Nawalnys und anderes “bösartiges” Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen.
Unterdessen nominierte der frühere polnische Präsident Lech Walesa Nawalny für den Friedensnobelpreis. Seinem Sekretär zufolge schickte der 77-Jährige einen entsprechenden Brief an das Nobelkomitee. Walesa, der den Preis selbst 1983 für seinen friedlichen Kampf gegen den Kommunismus in Polen erhalten hatte, sagte der Nachrichtenagentur AFP, Nawalny habe die Auszeichnung für seinen Mut in seiner Arbeit gegen Korruption und für politischen Pluralismus verdient.
Quelle: AFP