In der Affäre um ein unter Verschluss gehaltenes Gutachten zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum Köln hat die für das Papier verantwortliche Kanzlei Kardinal Rainer Maria Woelki scharf kritisiert. Das Gutachten unter Verschluss zu halten, sei ein “Gewaltangriff”, sagte der Münchner Rechtsanwalt Ulrich Wastl der “Zeit”-Beilage “Christ & Welt” laut Vorabmeldung vom Mittwoch. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann zeigte sich besorgt über Vorgänge in Köln.
Ein “derartiges Verhalten” habe seine Kanzlei noch nicht erlebt, sagte Wastl. “Kardinal Woelki soll das Gutachten veröffentlichen, dann kann sich jeder ein Bild machen.” Transparenz sei die Grundlage dafür, dass Missbrauchsopfer und Kirche “endlich dieses Thema bewältigen”. Viele der Betroffenen könnten nur durch die Nennung von Verantwortlichen Ruhe finden.
Den Vorwurf, dass das Gutachten angeblich äußerungsrechtliche und methodische Mängel enthalte, wies der Anwalt zurück. “Wir haben nicht gepfuscht”, sagte er. Von vermeintlichen Fehlern habe die Kanzlei erst aus einer Pressemitteilung des Erzbistums erfahren. “Mit uns hat nämlich seit Mitte März 2020 niemand mehr persönlich über die Sache gesprochen”, sagte Wastl.
Woelki hatte die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl 2018 mit einem unabhängigen Gutachten zu Missbrauch im Erzbistum Köln beauftragt. Im vergangenen Jahr sollte es veröffentlicht werden. Bis heute hält Woelki die unabhängige Expertise zurück. Zwischenzeitlich soll der Erzbischof den Betroffenenbeirat seines Erzbistums gedrängt haben, das Gutachten zu diskreditieren. Mittlerweile hat Woelki ein neues Gutachten in Auftrag gegeben.
Auch in den eigenen Reihen nimmt die Kritik am Umgang mit dem Missbrauchsskandal in Köln zu. Der Trierer Bischof Ackermann, der gleichzeitig der kirchliche Missbrauchsbeauftragte ist, äußerte sich gegenüber dem “Trierischen Volksfreund” besorgt über die Vorgänge in Köln. Die Auseinandersetzungen um das Missbrauchsgutachten schürten in vielen Menschen Zweifel am ehrlichen Willen zur Aufarbeitung der deutschen Bistümer.
“Das schadet uns allen”, sagte Ackermann der Zeitung. Der Vorfall zeige, wie wichtig die von den deutschen Bischöfen und dem Beauftragten der Bundesregierung vereinbarten Kriterien und Standards für die Aufarbeitung seien.
Woelki steht selbst unter Vertuschungsverdacht. Der Kardinal räumte ein, 2015 Missbrauchsvorwürfe gegen einen mittlerweile verstorbenen Priester nicht nach Rom weitergemeldet zu haben. Obwohl der Verdacht seit Wochen dem Vatikan vorliegt, äußerte sich Papst Franziskus noch nicht dazu.
Unterdessen berichtete die “Frankfurter Allgemeine Zeitung”, dass sich die vatikanische Kongregation für die Glaubenslehre mit der Reformbewegung Maria 2.0 beschäftige – offenbar im Zusammenhang mit dem Protest katholischer Frauenrechtlerinnen gegen die Weigerung Woelkis, das Missbrauchsgutachten zu veröffentlichen. Auf Anfrage sagte ein Sprecher Woelkis der Zeitung, der Kardinal habe Maria 2.0 “nicht angezeigt”. Im Vatikan ging jedoch laut “FAZ” in dieser Sache Post aus Köln ein.
Im November hatten dem Bericht zufolge etwa ein Dutzend Mitglieder der Reformbewegung mit einem “Beichtmobil” unter dem Motto “Raus mit der Akte” vor dem Kölner Dom und dem Erzbischöflichen Haus protestiert. Wenige Wochen später organisierte Maria 2.0 demnach eine digitale Domdemonstration, auf der unter anderem Mitglieder des Betroffenenbeirats im Erzbistum Köln ihre Kritik am “Machtmissbrauch” der Bistumsleitung erneuerten.
Quelle: AFP