Nach scharfer Kritik aus Großbritannien nimmt die EU Nordirland von ihren Exportkontrollen für Corona-Impfstoffe aus. Das Nordirland-Protokoll werde “unberührt” bleiben, teilte die EU-Kommission am Freitagabend mit. Die Schutzklausel, die Kontrollen an der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und Nordirland erlaubt hätte, sei anders als zunächst geplant nicht aktiviert worden. Hintergrund der Kontroverse sind Lieferengpässe beim britisch-schwedischen Hersteller Astrazeneca, dessen Impfstoff seit Freitag in der EU zugelassen ist.
Großbritannien und Irland hatten sich besorgt gezeigt über die Pläne der EU, Schutzmaßnahmen nach Artikel 16 des Nordirland-Protokolls zu ergreifen. Der britische Premierminister Boris Johnson habe in einem Telefonat mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen “ernste Bedenken” zum Ausdruck gebracht, teilte Downing Street mit. Nordirlands Regierungschefin Arlene Foster nannte die Ankündigung der EU einen “unglaublich feindseligen Akt”. Die EU habe “bei der ersten Gelegenheit” eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland in Kauf genommen.
Auch Irlands Premierminister Micheal Martin äußerte gegenüber von der Leyen seine Bedenken. Das Einlenken der EU wertete er später als eine “positive Entwicklung”. Das Nordirland-Protokoll im Brexit-Abkommen erlaubt den Warenfluss zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland ohne Zollkontrollen an der Grenze.
Die EU-Kommission hatte die “Ausfuhrgenehmigungspflicht” am Freitag beschlossen, um die Exporte von Corona-Impfstoffen zu überwachen und gegebenenfalls zu beschränken. Alle Pharmakonzerne, die mit der EU Lieferverträge über Corona-Impfstoffe abgeschlossen haben, müssen künftige und bereits getätigte Lieferungen an Drittstaaten in Brüssel melden.
“Wir haben diese Unternehmen bezahlt, damit sie ihre Produktion hochfahren, und jetzt erwarten wir, dass sie liefern”, sagte Dombrovskis weiter. Ziel sei es, “sofort volle Transparenz” zu schaffen, die bis dato gefehlt habe. In diesem Sinne sei die Maßnahme “streng zielorientiert” und entspreche den Regeln des Welthandels.
Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides betonte, dass die EU sich nicht gegen ein bestimmtes Land schützen wolle und sich nicht “im Wettbewerb oder Wettrennen gegen andere Länder” befinde. Zugleich kündigte die EU an, bei Verstößen gegen die nun erlassenen Regeln alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kritisierte das Vorgehen der EU und sprach von einem “sehr beunruhigenden Trend”, der die globale Lieferkette für Impfstoffe gefährden könne.
Der britisch-schwedische Impfstoff-Hersteller Astrazeneca hatte vergangene Woche bekanntgegeben, der EU zunächst deutlich weniger Impfstoff liefern zu können als vorgesehen. Die EU stört besonders, dass das Unternehmen Großbritannien und andere Nicht-EU-Länder offenbar weiterhin mit ungekürzten Mengen beliefert.
Sie hegt den Verdacht, dass Astrazeneca für die EU bestimmte Impfstoffdosen ins Ausland exportiert hat. Die belgischen Behörden inspizierten in diesem Zusammenhang auf Wunsch der Kommission am Donnerstag eine Produktionsstätte im belgischen Seneffe.
Nach eigenen Angaben will die EU-Kommission Impfstoff-Exporte nicht grundsätzlich verhindern. Es könnte in besonderen Fällen aber dazu kommen, dass die Exporterlaubnis verweigert wird. In der Praxis müssen die Hersteller die Ausfuhren den für sie zuständigen nationalen Behörden melden. Innerhalb von 24 Stunden sollen die Ausfuhren dann freigegeben oder verweigert werden.
Die EU-Kommission hatte dem Astrazeneca-Impfstoff am Freitagabend die Zulassung erteilt, nachdem die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) eine bedingte Marktzulassung für alle ab 18 Jahren empfohlen hatte.
In Deutschland kommt der Impfstoff bei Älteren aber wohl vorerst nicht zum Einsatz. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfahl im Gegensatz zur EMA-Entscheidung die Anwendung nur für Menschen im Alter von 18 bis 64 Jahre. Laut Stiko liegen für die Beurteilung der Impfeffektivität bei älteren Menschen bisher keine ausreichenden Daten vor.
Quelle: AFP