Verteidigung von Lübcke-Hauptangeklagtem fordert "verhältnismäßige" Haftstrafe

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Die Verteidigung des Hauptangeklagten im Lübcke-Prozess hat in ihrem Schlussvortrag eine “verhältnismäßige” Haftstrafe für Stephan E. wegen Totschlags gefordert. In seinem ersten Geständnis kurz nach seiner Verhaftung habe E. bereits Aufklärungsarbeit geleistet, sagte E.s Anwalt Mustafa Kaplan am Donnerstag vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Der 47-Jährige habe sich nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke schuldig gemacht. Es lägen keine Mordmerkmale vor. 

Die Tat sei nicht heimtückisch gewesen, weil Lübcke zum Tatzeitpunkt zwar wehrlos, aber nicht arglos gewesen sei. Sollte der Senat E. jedoch wegen Mordes verurteilen, beantragte Kaplan, keine besondere Schwere der Schuld auszusprechen und keine Sicherungsverwahrung zu verhängen.

Lübcke habe sowohl E. als auch seinen Mitangeklagten Markus H. gesehen, als sie auf seine Terrasse gekommen seien, sagte Kaplan. Auch die Tatwaffe in E.s Hand habe er schon zu Beginn des Angriffs gesehen. “Er musste davon ausgehen, dass es sich um einen bewaffneten Angriff handelt”, sagte Kaplan. Wie die Nebenklage geht E.s Verteidigung davon aus, dass H. am Tatabend am Tatort war.

E. habe bei dem tödlichen Schuss zudem nicht aus niedrigen Beweggründen gehandelt, sondern “im Irrglauben, im Allgemeininteresse zu handeln”. Die Tat habe kein egoistisches Motiv, weil es E. nicht darum gegangen sei, “für sich selbst Vorteile aus der Tat zu erlangen”.

Kaplan kritisierte E.s vorherige Anwälte Frank Hannig und Dirk Waldschmidt. Hannig, der im Sommer wegen inhaltlich nicht abgestimmter Anträge abgesetzt worden war, habe E. schlecht verteidigt. E. und Kaplan hatten dem Dresdner Anwalt nach seiner Entpflichtung vorgeworfen, das zweite Geständnis E.s erfunden zu haben, um eine Aussage H.s zu provozieren.

Darin hatte E. angegeben, dass H. Lübcke im Streit versehentlich erschossen hätte. Diese Version sei “Schmierentheater der schlechtesten Sorte” gewesen, kritisierte Kaplan. Er nannte Hannig einen “Regisseur” und “Drehbuchautor”.

Hannig und Waldschmidt trügen eine Mitverantwortung dafür, dass es zu drei unterschiedlichen Geständnissen gekommen sei. Beide Anwälte seien nie von E. oder seiner Familie mit der Verteidigung beauftragt worden. Stattdessen seien sie von anonym gebliebenen Anrufern darum gebeten worden, sich um E. zu kümmern.

Neben dem Mord an Lübcke ist E. wegen eines versuchten Mordes an einem irakischen Flüchtling im Januar 2016 angeklagt. Diese Tat bestritt er von Anfang an. Seine Verteidigung warf der Bundesanwaltschaft vor, “ergebnisorientiert” zu handeln, weil ohne eine Verurteilung wegen des versuchten Mordes ihr Ziel der Sicherungsverwahrung nicht zu erreichen sei. Sie forderte daher einen Freispruch.

Am Ende seines Vortrags richtete Kaplan emotionale Worte an die Nebenklage. Die Zusage E.s, der Familie Lübckes Fragen zu beantworten, gelte für den Rest seines Lebens, sagte Kaplan zu den Hinterbliebenen Lübckes. “Wir hoffen sehr, dass Sie Ihren Frieden finden.”

Ursprünglich war das Plädoyer für Donnerstag vergangener Woche geplant gewesen. Da es wegen eines rechtlichen Hinweises des Senats überarbeitet werden musste, wurde der Vortrag um eine Woche verschoben.

Der Prozess gegen E. und den Mitangeklagten H. hatte im Juni begonnen. Die Bundesanwaltschaft forderte für E. Ende Dezember lebenslange Haft, die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und Sicherungsverwahrung.

Für H., der sich seit seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft im Oktober wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz verantworten muss, forderte die Bundesanwaltschaft neun Jahre und acht Monate Haft. H.s Verteidigung soll am Dienstag kommender Woche plädieren, die Urteilsverkündung ist für Donnerstag geplant.

Quelle: AFP

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