Von der Leyen und Johnson suchen Brexit-Einigung in letzter Sekunde

Copyright AFP OZAN KOSE

Neun Tage vor dem Ende der Brexit-Übergangszeit hat sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erneut in die festgefahrenen Verhandlungen für ein Handelsabkommen mit Großbritannien eingeklinkt. Sie telefonierte nach Angaben aus EU-Kreisen am Montagabend mit dem britischen Premierminister Boris Johnson. Demnach könnte es weitere spontane Spitzengespräche geben, um die Verhandlungsblockade zu lösen. Die Zeit dafür ist mittlerweile äußerst knapp.

Großbritannien war zum 1. Februar aus der EU ausgetreten, bis zum Jahresende bleibt das Land aber noch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Die Zeit für die fristgerechte Ratifizierung des Handelsabkommens ist nach Angaben des EU-Parlaments bereits abgelaufen. Denkbar wäre noch eine vorläufige Anwendung einer möglichen Einigung innerhalb der kommenden Tage, um die gravierenden wirtschaftlichen Folgen eines Chaos-Brexit zu verhindern.

Aus EU-Kreisen hieß es allerdings, dass es auch für eine vorläufige Anwendung mit nachgeschobener Ratifizierung eine Einigung bis Weihnachten bräuchte. Der 23. Dezember sei dabei aber keine harte Deadline, sagte ein EU-Diplomat. Sollte ein Verhandlungserfolg am 24. oder 25. Dezember in Reichweite erscheinen, würden die Verhandlungen sicherlich fortgeführt.

Hauptstreitpunkte in den Verhandlungen sind seit Monaten faire Wettbewerbsbedingungen, die Kontrolle eines künftigen Abkommens und der Zugang zu britischen Gewässern für EU-Fischer. Während es bei den ersten beiden Knackpunkten zuletzt wesentliche Fortschritte gegeben hatte, blieb die Fischerei-Frage bis zuletzt schwierig. Im Details geht es um Kürzungen der erlaubten Fangmengen in Großbritanniens Gewässern für EU-Fischer und die Länge einer Übergangszeit für deren Einführung.

Führende EU-Parlamentarier forderten unterdessen von Großbritannien, auch wegen der schwierigen Lage inmitten der Corona-Pandemie eine Verlängerung der Übergangsphase zu beantragen. Die Hand der EU für eine zeitlich begrenzte Ausdehnung der Übergangsphase sei “immer ausgestreckt”, sagte die SPD-Abgeordnete Katarina Barley dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Es liege an Johnson, diese Hand “jetzt zu ergreifen”.

Aus Diplomatenkreisen hieß es allerdings, diese Möglichkeit sei ausgeschlossen. Die EU und Großbritannien hatten im Austrittsvertrag die Möglichkeit einer Verlängerung der Übergangsphase vorgesehen. Aber London hatte dies im Sommer endgültig abgelehnt. “Wenn man das jetzt machen will, bräuchte es dafür eine neue rechtliche Grundlage, einen neuen völkerrechtlichen Vertrag”, sagte ein EU-Diplomat.

Alternativ droht ein “No-Deal-Szenario”, bei dem ab dem 1. Januar Zölle und andere Handelsbarrieren an den Grenzen zum Vereinigten Königreich Realität würden. Gekappte Reiseverbindungen zwischen Großbritannien und dem Rest Europas wegen der Furcht vor der Ausbreitung einer mutierten Variante des Coronavirus, die bislang vor allem in Südengland festgestellt wurde, liefern dafür seit Sonntag einen Vorgeschmack.

Nach Angaben aus EU-Kreisen kam bei dem Gespräch Johnsons mit von der Leyen auch das Corona-bedinge Reisechaos zur Sprache. Die EU-Länder hatten die Kommission noch am Montag beauftragt, ein Konzept für eine koordinierte Reaktion darauf zu erarbeiten. Parallel dazu hatten viele Länder die Verkehrsverbindungen mit Großbritannien stark eingeschränkt.

Aktuelle Beiträge

Exklusiv Interviews

Melden Sie sich für unseren Newsletter an

Ihre E-Mail-Adresse wird nur für Werbe-E-Mails und kritische Nachrichtenankündigungen verwendet.