Nach einem Zwischenfall hat Brasilien seine klinischen Studien zu einem vielversprechenden chinesischen Impfstoffkandidaten gestoppt. Nach einem “ernsten negativen Vorfall” habe sie die Aussetzung der Tests mit dem Impfstoff CoronaVac angeordnet, teilte die Aufsichtsbehörde Anvisa am Montag (Ortszeit) mit. Das chinesische Pharmaunternehmen Sinovac Biotech, das den Impfstoff entwickelt hat, verteidigte seinen Impfstoff dagegen als “sicher”. Der von Anvisa angeführte negative Vorfall hänge nicht mit dem Impfstoff zusammen, erklärte es am Dienstag.
Nach Angaben von Anvisa kam es Ende Oktober zu einem schweren Vorfall, der einen freiwilligen Teilnehmer der Studie betraf. Um was genau es sich handelte, ließ die Behörde unter Verweis auf die Datenschutzbestimmungen offen. Sie wies lediglich darauf hin, dass der Begriff unter anderem Todesfälle nach der Verabreichung des Mittels, lebensgefährliche Nebenwirkungen, schwere Behinderungen, Krankenhaus-Aufenthalte und andere “klinisch signifikante Vorkommnisse” umfasst.
Der in Peking angesiedelte Pharmakonzern Sinovac Biotech erklärte in einer ersten Reaktion, er sei weiterhin “von der Sicherheit des Impfstoffs überzeugt” und werde in der Angelegenheit mit Brasilien im Gespräch bleiben.
Das Institut Butantan in São Paulo, das die klinischen Impfstoff-Studien in Brasilien koordiniert, zeigte sich “überrascht” über die Entscheidung der Behörde. Es werde den Vorfall “detailliert untersuchen”.
Die Regierung des Bundesstaats São Paulo äußerte sich enttäuscht über die vorübergehende Einstellung der klinischen Studien. Sie bedaure, dass sie “aus den Medien von der Entscheidung erfahren” habe, teilte sie mit. Sie erwarte nun mehr Informationen über die “wahren Gründe für die Aussetzung”.
CoronaVac steht seit längerem im Mittelpunkt eines Machtkampfs zwischen Brasiliens rechtsradikalem Präsidenten Jair Bolsonaro und São Paulos Gouverneur João Doria von der Mitte-rechts-Partei PSDB.
Doria, der als möglicher Herausforderer Bolsonaros bei der Präsidentschaftswahl 2022 gilt, setzt sich schon seit Monaten für den Kampf gegen die Corona-Pandemie ein, während Bolsonaro die Auswirkungen des Virus lange kleingeredet hatte. Der Impfstoff soll zudem teilweise vom Butantan-Institut produziert werden, das unter öffentlicher Trägerschaft São Paulos steht.
Bereits im vergangenen Monat hatte Bolsonaro Pläne seines eigenen Gesundheitsministeriums über den Kauf von 46 Millionen Dosen CoronaVac wieder rückgängig gemacht. Als Grund gab er die Herkunft der Impfstoffs an, den er abwechselnd als “João Dorias chinesischen Impfstoff” oder als “von einer Diktatur stammenden Impfstoff” abstempelte. Er fügte hinzu, die Brasilianer würden sich nicht als “Versuchskaninchen” eines Medikaments aus China hergeben, das sich als Ausgangsland der Pandemie “sehr diskreditiert” habe.
Stattdessen setzte sich Bolsonaro für einen gemeinsam von der Universität Oxford und dem Pharmaunternehmen AstraZeneca entwickelten Impfstoff ein, der sich ebenso wie CoronaVac in der letzten Testphase befindet. Dessen weltweite Tests waren am 6. September nach der Erkrankung eines Probanden ebenfalls unterbrochen worden, wurden aber nach wenigen Tagen wieder aufgenommen, da die Erkrankung offenbar nicht in Verbindung mit dem Impfstoff steht.
Noch am Montag hatte Gouverneur Doria verkündet, dass São Paulo am 20. November eine erste Lieferung von 120.000 CoronaVac-Impfdosen erhalten solte. Der Bundesstaat hat einen Vertrag mit Sinovac Biotech über den Kauf von 46 Millionen Dosen geschlossen, von denen sechs Millionen in China und der Rest in Brasilien hergestellt werden sollen.
Nach Informationen der Tageszeitung “Folha de S. Paulo” vermutet die Regierung von São Paulo politische Hintergründe für den Stopp der Studie. “Regierungsbeamte fürchten, dass Bolsonaro technische Beschlüsse dazu nutzen wird, den Zeitplan für die Impfung aus politischen Gründen zu verzögern”, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Vertraute des Gouverneurs.
Brasilien ist mit mehr als 162.000 Corona-Toten das am zweitstärksten von der Pandemie betroffene Land weltweit nach den USA, mehr als 5,6 Millionen Menschen haben sich dort bislang infiziert. Gleichzeitig lassen viele Pharmafirmen dort ihre Impfstoffkandidaten testen, weil das Land über erfahrene Institute verfügt.
Neben dem Impfstoff von AstraZeneca und Sinovac Biontech befindet sich auch der gemeinsame Impfstoff der Firmen Biontech aus Mainz und Pfizer aus den USA in Brasilien in der dritten und letzten Phase der klinischen Studien. Die beiden Firmen hatten am Montag verkündet, dass ihr Wirkstoff in den Studien über 90 Prozent der Covid-19-Erkrankungen verhindern konnte.
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