Exklusiv-Interview mit Ex-Finanzminister Theo Waigel

Redaktion:
Sie sind in der Region Günzburg-Krumbach aufgewachsen. In Ihrem Buch „Ehrlichkeit ist eine Währung“ erwähnen Sie, dass Heimat durch eine Fülle von Erinnerungen entsteht. Wie heimatverbunden sind Sie heute noch?

Theo Waigel:
Ohne meine schwäbische Heimat möchte ich nicht leben. Heimat ist für mich Oberrohr, Ursberg, das Mindeltal, Krumbach und die beiden Landkreise Günzburg und Neu-Ulm. Durch meine Heirat mit Irene Epple ist noch Seeg und das Ostallgäu hinzu- gekommen. Wenn ich von Oberrohr nach Seeg oder von Seeg nach Oberrohr fahre, bewege ich mich von Heimat zu Heimat. In meinem Wahlkreis Neu-Ulm kenne ich jede Straße, jede Gemeinde, viele Wirtshäuser und Kirchen. Es sind aber vor allem die Menschen, die mir früher in meiner politischen Zeit und auch jetzt noch begegnen, Zeitgenossen, Freunde, Verwandte. Sie alle gehören zur Heimat, einem Grundwert unserer Gesellschaft. Wir entstammen ihr und kehren wieder zu ihr zurück, wie es selbst Ernst Bloch einmal formuliert hat. Novalis sagt: „Alle Wege führen der Heimat zu.“ So geht es auch mir.

Redaktion:
In Ihrer Jugend engagierten Sie sich ehrenamtlich in der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB). Ihre Erinnerungen zu dieser Zeit?

Theo Waigel:
Fast zehn Jahre war ich in der Katholischen Landjugendbewegung aktiv. Besonders bewegend war die Zeit zwischen meinem 15. und 21. Lebensjahr. Das Jugendheim in Ursberg wurde zu unserer zweiten Heimat. Wöchentliche Gruppenstunden, Theaterspiel, Ausflüge, Jugendgottesdienste, Vorträge und Diskussionen haben diese Jugendzeit geprägt. Ich habe dabei viel erfahren und viel gelernt, auch wie man Gemeinschaft und Führung erlernen kann. Noch heute bin ich in Kontakt mit meinen Freunden und Freundinnen von damals.

Redaktion:
Während Ihrer Schulzeit gab es körperliche Ermahnungen in Form von „Tatzen“. Sehen Sie diese Art der Erziehung als Fluch oder Segen?

Theo Waigel:
Körperliche Ermahnung in Form von „Tatzen“ und „Hosenspannern“, wie es in meiner Schulzeit bis zur 5. Klasse gab, halte ich für verfehlt. Ein Schulfreund, der Lehrer wurde, hat mich vor einigen Jahren gefragt, ob das geschadet habe. Ich habe ihm geantwortet, was hat es genützt? Es gibt andere und bessere Methoden der Erziehung. Gott sei Dank haben wir diese Zeit von damals hinter uns gelassen.

Redaktion:
Als Namensgeber des Euros waren Sie einer der Wegbereiter für diese Währung. Stehen Sie auch heute noch voll dahinter?

Theo Waigel:
Die gemeinsame Währung, der Euro, waren zwingend notwendig für Deutschland und für Europa. Wir wären sonst ein Spielball des amerikanischen Dollars und des chinesischen Renminbis. Hätten wir die D-Mark noch, dann gebe es bei uns eine Aufwertung wie in der Schweiz, der deutsche Export würde einbrechen, die Arbeitslosigkeit in die Höhe gehen, das Wachstum zurück und die Defizite größer. Heute ist der Euro die zweitwichtigste Währung der Welt und mit dem Euro sind die europäischen Länder besser durch die Finanzkrise gekommen, als andere.

Redaktion:
Mit Blick in die Vergangenheit: Sie haben in Ihrer Amtszeit viele bekannte Persönlichkeiten kennengelernt. Welche Person ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben und warum?

Theo Waigel:
Es waren eigentlich drei große Persönlichkeiten: Helmut Kohl, mit dem ich 26 Jahre in der Fraktion und 16 Jahre in der Regierung zusammengearbeitet habe und mit dem ich bis zu seinem Tod eng verbunden war. Michael Gorbatschow hat einen Paradigmenwechsel in der Weltpolitik herbeigeführt und die deutsche und die europäische Wiedervereinigung ermöglicht. Georg Bush hat Deutschland unterstützt wie ein Freund, auch als andere an uns zweifelten.

Redaktion:
Ein langjähriger Weggefährte in Ihrem Leben war Helmut Kohl. Wie war Ihr persönliches Verhältnis während und nach der Amtszeit?

Theo Waigel:
Ich habe schon auf Helmut Kohl verwiesen. Er war ein absolut verlässlicher politischer Weggefährte und persönlicher Freund. In allen politischen und persönlichen Lebenssituationen stand er zu mir und zu meiner Familie. Das Finanzministerium hat er mir angeboten auf einem Flug von Bonn nach Leipheim, wo wir in Günzburg den französischen Präsidenten Francois Mitterand empfingen. In Neu-Ulm hat er eine seiner letzten großen Wahlveranstaltungen im Wahlkampf 1998 gehalten. Zehntausend Menschen waren gekommen, um noch einmal einen Großen der deutschen Politik zu erleben. Ich hatte die Möglichkeit nach seinem Tod, von ihm in seinem Haus in Oggersheim Abschied nehmen zu dürfen. Am Tag vor seinem 83. Geburtstag rief er mich an, ob er seinen Geburtstag mit uns in Seeg verbringen dürfe. Irene und ich haben gerne zugesagt und die Harmoniemusik von Seeg hat zu seinen Ehren die Bayernhymne gespielt.

Redaktion:
Gab es politische Entscheidungen, die Sie rückblickend anders treffen würden?

Theo Waigel:
Die wesentlichen Entscheidungen würde ich wieder so treffen. Ethisch verantwortete Politik heißt, unter gegebenen Umständen, die man sich nicht aussuchen kann, das unter diesen Umständen Bestmögliche und damit Richtige zu tun. Darum habe ich mich bemüht.

Redaktion:
Was hat sich nach Ihrer politischen Amtszeit privat für Sie verändert?

Theo Waigel:
Die politische Resozialisierung nach meinem Ausscheiden aus dem Amt ist mir gelungen. Ich arbeite in der Kanzlei meines Sohnes in München und bin noch viel unterwegs. Vier Jahre habe ich als Monitor für Siemens und drei Jahre in einem Compliance-Panel für Airbus gearbeitet. Das waren großartige Erfahrungen. Ich habe endlich Zeit mich meiner Familie zu widmen und meine Allgäuer Heimat mit dem E-Bike zu durchqueren. Ich muss nicht mehr Sitzungen und Veranstaltungen besuchen, sondern kann dies, wenn ich will.

Redaktion:
Sie sind in der Kanzlei „Waigel Rechtsanwälte“ tätig. Was beinhaltet Ihr Aufgabenfeld?

Theo Waigel:
Mein Sohn hat vor einigen Jahren eine eigene Kanzlei gegründet und ich bin ihm gefolgt. Ich kümmere mich vor allen Dingen um Finanzrecht, Europäisches Recht und habe in Sachen Compliance eine reiche Erfahrung, die für Unternehmen in unserer Zeit eine immer größere Rolle spielt.

Redaktion:
Merkel oder Söder?

Theo Waigel:
Angela Merkel und Markus Söder sind keine Konkurrenten. Im Jahre 2017 habe ich bei einem Europasymposium in Ottobeuren beide zusammengeführt, nachdem es zuvor zwischen CSU und CDU zu unfruchtbaren Spannungen gekommen war. Die ausgezeichnete Zusammenarbeit beider, gerade während der Corona-Krise, hat sich positiv für beide Parteien und positiv für Bayern und Deutschland ausgewirkt.

(Foto: Copyright: ©Peter Jirmann Jr.)

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